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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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auch diese dort zurück. An seinem Akzent konnte er nicht viel ändern, höchstens eine Oktave höher sprechen und alles mit vorgetäuschter Unterwürfigkeitverbrämen. Er hielt die Armbrust hochkant an der Säule in der Linken. Er klopfte zweimal leise an und versuchte, ängstlich zu scheinen.
    »Exzellenz, mit Eurer Erlaubnis, die neuen Männer sind gekommen.«
    Er trat einen Schritt zurück, setzte den linken Fuß vor, aber noch neben die Tür. Er nahm einen Bolzen zwischen die Zähne. Eine Pause. Dann ging die Tür auf. Tannhäuser trat Petit Christian mit aller Macht in den Schritt. Die Kröte flog rückwärts ins Zimmer. Tannhäuser sah einen Sergent , der vom hinteren Ende des Raums eine Arkebuse auf ihn richtete.
    »Baro!«
    Tannhäuser blieb so lange als Zielscheibe stehen, bis er die Lunte glühen sah. Die Zündladung flammte auf, während er herumwirbelte und sich an die Wand drückte. Die Explosion musste für die im Zimmer ohrenbetäubend gewesen sein. Er spürte, wie die verschwendete Gewehrkugel an ihm vorüber pfiff, trat wieder in die Tür und senkte die Armbrust.
    Er folgte Baro, der vor seinem eigenen Pulverdampf floh, und schoss ihm von rechts in die Lende.
    Er trat mit den Zehen in den Steigbügel und spannte die Sehne. Er legte einen zweiten Bolzen ein.
    Er steckte kurz den Kopf ins Zimmer. Christian wälzte sich auf dem Boden. Ein kahlköpfiger Mann, der eine Ordenskette aus goldenen Muscheln trug, saß hinter einem polierten Eichenschreibtisch und hatte beide Hände über die Ohren gelegt. Kein zweiter Leibwächter. Nur Baro, der sich ans Fensterbrett klammerte. Tannhäuser schaute hinter der Tür nach. Er trat wieder aus dem Zimmer und holte den Bogen, den Köcher und den Streitkolben.
    Er ging um Christian herum, der Erbrochenes hochwürgte, und an dem kahlköpfigen Mann vorbei, der so reglos wie eine Nero-Büste an seinem polierten Schreibtisch saß. Tannhäuser stellte die Armbrust auf dem Steigbügel an die hintere Wand und legte den Bogen und den Köcher daneben. Er schwang den Streitkolben von hinten hoch über den Kopf und hieb ihn dem blutenden Leibwächter in den Nacken. Er spürte, wie einer der Stahlflansche sich dem Mann ins Rückgrat bohrte, und verdrehte die Waffe, bis die Knochensplitterten. Sergent Baro fiel mit zuckenden Gliedmaßen zu Boden. Tannhäuser drehte sich um.
    Er befand sich mit Marcel Le Tellier in einem Zimmer.
    Wenn man bedachte, wie viel Ärger er verursacht hatte, war der Mann eine Enttäuschung.
    Tannhäuser fand nichts Interessantes in seinen Zügen. Eine gewisse Intelligenz, eine gewisse Eitelkeit, einen gewissen Ernst, vorgegeben oder angelernt. Nichts, das er nicht schon bei Tausenden von Amtsträgern gesehen hatte, die ihr Leben gegen eine Autorität eingetauscht hatten, die sie als Mensch sonst nie besessen hätten. Wenn es einen Funken Hass in diesen Augen gab, dann wurde der durch völlig ungläubiges Staunen weit wirkungsvoller ausgelöscht als durch Angst. Der Mann schaute Tannhäuser nicht in die Augen. Seine Hand griff nach einem Becher Wein, hielt dann in der Luft inne. Er schien fassungslos, dass jemand die Zitadelle seines Hôtel so gewaltsam gestürmt hatte. Er starrte durch Schwaden von Pulverdampf auf das Blut, das Tannhäusers Oberkörper vom Hals bis zur Gürtelschnalle bedeckte.
    Tannhäuser öffnete das Fenster, um den Rauch herauszulassen. Er nahm die glühende Lunte von der Arkebuse, zerschmetterte das Gewehrschloss mit dem Streitkolben und warf die Lunte aus dem Fenster. Er war drei Stockwerke über der Straße. Von diesem Flügel aus hatte man keinen Blick auf den Viehhof. Schreien und Johlen und zittrige Stimmen, die Psalmen sangen, erregten seine Aufmerksamkeit.
    Er schaute zur Seine.
    Hier war eine Lücke zwischen den Gebäuden, die einen großen Teil des Flussufers einnahmen, und man konnte eine Reihe von Kaianlagen sehen. Unter dem massigen Schatten der Conciergerie konnte er einen Streifen mondhelles Ufer ausmachen. Der Fluss war nach dem vergangenen Sommergewitter stark angestiegen. Am Ufer mordeten die Milizen Christi mit ihren Bannern und brennenden Fackeln Hugenotten und warfen die Leichen in die schäumenden Fluten. Hier und da knieten Gruppen von zwei oder drei um eine am Boden ausgestreckte Frau und fielen wie brünstige Hunde über ihr wehrloses Opfer her. Die Todgeweihten wurden,eine Familie nach der anderen, mit Piken zum Fluss getrieben und hatten ihr trauriges Schicksal deutlich vor Augen.
    Tannhäuser wurde übel.

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