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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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nicht sein.
    Sie kannte und liebte den Engel mit den schwarzen Flügeln, der über ihn wachte, und beide liebten sie Tannhäuser und Carla, nicht nur weil sie Engel waren, sondern weil sie die beiden geliebt hatten, seit sie sie zum ersten Mal sahen. Beide. Alle.
    Dieser Engel hatte viele Dinge erlebt. Sie hatte in den Bergen mit Kampfstieren herumgetollt. Sie hatte mit Carla Musik gemacht, wo Musik kostbarer war als Rubine. Nackt war sie durch Pulverdampf und Blut geschwommen, um Tannhäuser in sich zu spüren. Sie war der Pfad gewesen, auf dem er geschritten war, um Carla lieben zu können. Carla war auch über seltsame Pfade geschritten, um Tannhäuser lieben zu können. Und hier lag die Nachtigall gurrend in ihrem Ziegenleder, in der tapferen Umarmung des zerlumpten Straßenmädchens, eines Mädchens, wie es dieser seltsame Engel selbst einmal gewesen war.
    Wie schön.
    Sie fragte sich, dieser Engel, ob Tannhäuser nicht selbst eine Art Engel war. Denn er hatte die gleiche Aufgabe übernommen wie sie: Er wollte versuchen, diese Kinder durch die Hölle zu führen. Welche Farbe mochten dann seine Flügel haben? Sie lachte, und Estelle drehte sich auf dem Viehhof um und schaute sie an.
    Er ist meine blutrote Rose .
    »Wer ist deine blutrote Rose?«, fragte Estelle.
    Tannhäuser .
    »Natürlich«, sagte Estelle.
    Rot ist die Farbe der Flügel meines Liebsten .
    »Oh, wie gern würde ich die sehen.«
    Eines Tages, aber nicht heute .

KAPITEL 29

D ER G AUKLER
    Im Eingangsflur des Stadthauses überprüfte Tannhäuser im Licht des Kronleuchters, ob es noch Lebenszeichen gab. Er fand keine. Ein noch atmender Sergent hätte vielleicht nützlich sein können, aber Tannhäuser hatte vorsichtshalber lieber tödliche Schläge ausgeteilt. Er lauschte und hörte nichts. Die Toten waren unter Seufzen, Stöhnen und Gebeten gestorben, hatten aber nicht geschrien, nicht mehr Lärm gemacht als vier Banditen, die im Haus ankamen.
    Er schob den Riegel vor die Haustür. Er ging zur Hintertür und öffnete sie. Er zerrte die Leiche des Sergents herein, dem er in die Brust geschossen hatte, ehe er auf der Straße auf die Banditen gestoßen war. Er zog den Pfeil wieder heraus.
    Insgesamt neun Männer.
    Le Tellier hatte sich anscheinend sehr unsicher gefühlt – und fühlte sich wahrscheinlich jetzt ungemein sicher.
    Tannhäuser hätte seine eigenen Wachen postieren können, falls zufällig Leute kamen, aber er wollte Estelle und Amparo nicht imHaus haben. Er nahm Altans Hornbogen von der Schulter und hängte ihn mitsamt dem Köcher unten an der Treppe ans Geländer. Er bezweifelte, dass es außer ihm in der ganzen Stadt noch einen Mann gab, der ihn spannen konnte. Blut troff von der Bogensehne, wo sie an seiner Brust gelegen hatte. Er fuhr mit den Fingern darüber entlang. Dann nahm er die Armbrust auf, die er mit einem der Banditen hereingeschleppt hatte. Er spannte sie, legte einen Bolzen ein und schob sich vier weitere hinten in den Gürtel. Er behielt Frogiers Bogen über der linken Schulter.
    Rasch durchsuchte er die Räume im Erdgeschoss.
    Alle bis auf ein Zimmer waren leer. Das war abgeschlossen, und drinnen konnte man kein Licht sehen. Wer klug genug gewesen war, im Dunkeln die Tür von innen abzuschließen, wollte sicher auch gern dort bleiben. Tannhäuser ging weiter. Nun nahm er den Streitkolben auf, den er dem sterbenden Banditen über den Kopf geschlagen hatte, und schlüpfte mit der rechten Hand in den Halteriemen.
    Er ging die Treppe hinauf.
    Noch mehr Türen. Kein Licht in den Zimmern. Keine Geräusche. Auch diese Zimmer ließ er in Ruhe.
    Er ging nach Süden den Korridor entlang. Der führte in einen mit einer Lampe erleuchteten Vorraum. Die Tür des Amtszimmers war mit einem vergoldeten Muschelemblem verziert. Er lauschte. Er hörte eine dünne Stimme, ein Winseln. Petit Christian. Er hielt inne.
    An Le Telliers Stelle hätte er mindestens eine Leibwache bei sich gehabt. Oder zwei? Zwei wären würdelos, und man hätte einen zweiten besser unten aufgestellt. Also höchstens zwei. Wenn Le Tellier besonders vorsichtig war, würde er Petit Christian die Tür öffnen lassen, sobald jemand anklopfte. Die Tür ging nach innen auf und hatte das Scharnier rechts. Wenn der Leibwächter seine Arbeit gut machte, würde er ein Gewehr oder eine Armbrust bereithalten. Wenn der Leibwächter zur Tür kam, umso besser.
    Tannhäuser lehnte den Streitkolben an den Türrahmen. Er nahm den Bogen und den Köcher von der Schulter und ließ

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