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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Kindes füllte, erfüllte ihr Kind sie. Es war keine Eile.
    Sie schlug die Augen auf und sah Grymonde.
    Er kam auf sie zugeschlurft, der Junge und Mattias hielten je einen Arm. Sein Gesicht war mit etwas Weißem eingeschmiert, und Hautfetzen geplatzter Brandblasen hingen ihm über die Wangen. Sein Kopf zuckte hin und her, als suchte er sein verlorenes Augenlicht. Seine rehbraunen Augen.
    Sie spürte, wie Alice mit einem schmerzlichen Aufatmen zurückwich.
    Ob sie hinter ihr stand oder in ihr ruhte, Alice war bei ihr.
    Carla wandte sich wieder Amparo zu und begann zu weinen.



KAPITEL 34

D ER S CHMELZTIEGEL
    Wäre Grégoire nicht mit dieser Nachricht gekommen, so hätte Tannhäuser Pascale zurückgelassen. Er hätte auch Juste und die Mäuse zurückgelassen. Er hätte seine Schuldgefühle verdrängt, wenn auch nie vergessen. Nun schaute er an Grymonde vorüber auf Grégoire und nickte. Er hoffte so zumindest einen kleinen Teil seiner Dankbarkeit auszudrücken. Grégoire grinste. Er blieb bei der Tür in dem Alkoven stehen. Tannhäuser setzte die Laterne ab und suchte den Sack mit den Werkzeugen in Grymondes Tasche. Er zog eine Reihe von flachen Eisenstangen heraus, die an beiden Enden verschiedene Spitzen hatten.
    »Wenn du nur geprahlt hast, dann sag es mir gleich, und ich gehe den Priester holen.«
    »Gib mir den Dietrich, der wie ein Krummsäbel geschliffen ist. Führe meine Finger ans Schlüsselloch.«
    Das tat Tannhäuser. Grymonde kniete sich hin und legte die Linkeauf den Schlosskasten, um die Größe abzuschätzen. Er tastete im Inneren herum. Er spuckte aus, als wollte er seine Verachtung für den Schlosser zum Ausdruck bringen, der ihm eine so jämmerlich leichte Aufgabe gestellt hatte. Er zog den Dietrich wieder heraus.
    »Lass es mich mit den anderen versuchen.«
    Er wählte einen der vielen L-förmigen Dietriche aus. Wieder tastete er im Schloss herum.
    »Gib mir noch so einen.«
    Grymonde führte den zweiten Dietrich ein. Er reichte über die Einschnitte hinweg, um den Hebel und den Sperrriegel auszulösen. Tannhäuser hatte zugeschaut, wie sein Vater Teile für Schlösser schmiedete, aber selbst nie mehr als ein Vorhängeschloss geknackt. Grymonde schob einen dritten Dietrich ein. Er drehte die drei Griffe, und der Riegel öffnete sich knirschend.
    »Da ist kein bisschen Rost drin.« Grymonde stand auf, schob die Tür auf und schnüffelte. »Hast du den Priester schon gefunden?«
    Tannhäuser stieg die Wendeltreppe hinauf. Seit dem Morgen schien sich die Zahl der Stufen verdoppelt zu haben, und die Wände waren enger zusammengerückt. Tannhäuser trieb sich an. Er erreichte den äußeren Verbindungssteg und überquerte ihn zum Törchen am Fuß des Nordturms. Er stellte sich die Laterne vor die Füße. Der Schweiß hatte das Band längst durchtränkt, und er nahm es ab und wischte sich mit den Enden die Augen. Er rollte den Kopf. Er öffnete das Törchen und rief die Treppe hinauf.
    »Pascale! Ich bin’s, Mattias!«
    Er wartete. Die Holztreppe lag pechschwarz vor ihm. Musste er auch noch auf den verdammten Turm steigen? Er glaubte nicht, dass er das schaffen würde und danach noch die Energie für den Rest seiner Aufgaben haben würde. Er beugte sich herunter, um die Verspannungen in seinem Rücken zu lösen. Als er sich wieder aufrichtete, starrte er in die Mündung einer Reiterpistole. Kalter Schweiß rann ihm über den Rücken.
    Pascale senkte die Pistole und trat ins Licht heraus.
    »Du bist heute die erste, die das Glück hatte, mich beinahe zu erwischen«, sagte er.
    »Das Glück?«
    »Komm her, Mädchen.«
    Pascale sprang die letzten Stufen herunter und fiel ihm um den Hals. Sie erschien ihm so klein. Er hatte sie viel größer in Erinnerung gehabt. Er überlegte, was sie alles durchgemacht hatte. Er gab ihr einen Augenblick Zeit. Sie brauchte nicht länger. Dann trat sie einen Schritt zurück. Ihre Augen und ihr Haar schimmerten wie Obsidian.
    »Ich habe Flore gesehen«, sagte er. »Es tut mir leid.«
    Pascale nickte nur.
    »Sind die anderen reisefertig?«
    »Ja. Wo gehen wir hin?«
    »Nach Hause.«
    Pascale lächelte.
    »Es ist genauso riskant wie Hierbleiben, vielleicht riskanter, aber es lohnt sich mehr.«
    »Mir sind die Risiken verdammt egal.«
    Sie war leidenschaftlich. Sie war lebendig. Ihre Kraft gab ihm Auftrieb.
    »Ich habe meine Frau und unser neugeborenes Kind gefunden. Sie warten unten auf uns.«
    Pascale zwinkerte. Kurz huschte bittere Enttäuschung über ihr Gesicht, ehe sie

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