Die Blutnacht: Roman (German Edition)
zu, und Amparo lag in seiner Armbeuge und brüllte. Er murmelte ihr völlig weltvergessen ins Ohr. Sein Nacken war schwarz vor verkrustetem Blut, genau wie das Johanniterkreuz auf seiner Brust, und das in den Falten seiner Stiefel angesammelte Blut war noch feucht. Er wirkte ungezähmter denn je. Sie hatte ihn noch nie so voller Freude gesehen. Er hatte sie gefunden. Er hatte sie beide gefunden. Sie bemerkte das weiße Band um seine Stirn. Der bleiche Reiter des Jüngsten Gerichts war gekommen und trug ihr Kind. Und er hatte den Morgenstern mitgebracht.
Estelle klammerte sich mit beiden Händen an seinen Arm, wurde immer wieder vom Boden hochgehoben, schwang durch die Luft, ihre roten Locken flogen hinter ihr, und sie lachte. Carla lächelte. Dieser Anblick ließ die königliche Hochzeitsprozession, die in der Woche zuvor den gleichen Weg genommen hatte, blass und langweilig erscheinen. Sie kamen näher. Sie zögerte beinahe, dieses wunderschöne Bild zu stören. Sie spürte ein Beben im Hals und wollte vor Glück weinen. Sie weinte nicht. Sie wollte nicht, dass sein erster Blick auf eine Frau unter Tränen fallen würde.
Carla legte ihre Hände auf die Bank und schob sich hoch. Sie fiel nicht hin. Ohne nachzudenken, strich sie ihren Rock glatt und bemerkte,dass sie beinahe so blutig war wie Mattias. Sie glättete ihr Haar und zog den Zopf zurecht.
Mattias war so sehr von seiner Tochter gefesselt, dass er an ihr vorbeiging.
Estelle, die kichernd durch die Luft segelte, sah sie auch nicht.
Carla hätte beinahe laut aufgelacht, aber sie brauchte all ihre Kraft, um ins Kirchenschiff zu treten.
Mattias’ Rücken versperrte den Blick auf den Hochaltar.
Sein Kopf war von einem goldenen Heiligenschein aus Kerzenlicht umgeben.
»Mattias?«
Mattias blieb stehen. Estelle ließ seinen Arm los, drehte sich entzückt zu ihr um und sagte etwas, das sie nicht richtig hörte. Sie hatten sie gesucht. Sie hatten sie gefunden.
Mattias senkte den Kopf, und seine Schultern bebten. Er hob den Kopf.
Er drehte sich um und schaute sie an.
Von all den Dingen, die sie am meisten von ihm brauchte, hätte sie nur Amparo benennen können und seine Liebe, an der sie, so lange er auch fort gewesen war, niemals gezweifelt hatte. Hätte sie gezweifelt, so hätte sie nicht durchgehalten. Und doch schenkte er ihr noch etwas: seine Tränen. Obwohl er sie nicht hatte fallen lassen, glänzten sie doch in seinen Augen, und sie nahm dieses Glänzen lange in sich auf. Es war keine Eile. Mattias war immer bereit zu sterben, wie jedes lodernde Feuer. Amparo auch, die an seine blutgetränkte Brust geschmiegt lag. Ihre Tochter. Ihrer beider Tochter. Und doch im Augenblick seine. Mattias und seine Tochter.
Nichts hatte Carla je mehr gerührt.
Auch Carla war bereit zu sterben.
Wenn sie zusammen waren, war sie zu allem bereit.
Ihre Flamme sprang auf ihn über, und sogleich waren sie wieder eins.
Mattias schaute sie an, und der Anblick traf ihn zutiefst. Sie sah wohl noch jämmerlicher aus, als sie sich vorgestellt hatte; aber was war schon ein Kleid? Am allerwenigsten wollte sie, dass er sie für schwach hielt. Sie brachte ihn durch Willenskraft dazu, sie zu umarmen, so dass sie ihm zeigen konnte, dass sie nicht schwach war. Under trat sofort vor und drückte sie an sich, dass ihr die Luft wegblieb. Heißes Verlangen wallte durch all ihre Erschöpfung hindurch auf, und sie packte seinen Arm, bis ihr die Finger wehtaten. Er war da, und er gehörte ihr.
Und er schenkte ihr auch noch etwas anderes, das sie von ihm brauchte, ohne es geahnt zu haben: sein breites Grinsen mit den abgebrochenen Zähnen, das sie beim ersten Treffen so entsetzt und bezaubert hatte.
»Carla, Liebste, unsere Nachtigall hat Hunger, und meine Dornen haben ihr noch kein Leid zugefügt.«
Amparo war in eine Tierhaut geschmiegt. Ihre Lippen bebten. Welche Abenteuer sie auch durchgestanden hatte, sie strahlte vor Gesundheit. Es war keine Eile, zumindest keine Eile, sie zu stillen. Sie schloss die Augen.
»Küss mich.«
Mattias knurrte tief im Hals vor Entzücken. Er küsste sie auf den Mund.
Sie schlug die Augen wieder auf, ihre Lippen noch auf den seinen. Sie schaute in die eisblauen Seen. Wie seltsam seine Liebe war! Sie strömte aus Quellen, wo Liebe nicht hingehörte. Er war durch und durch geheimnisvoll. So gut sie ihn und seine Instinkte und Reaktionen kannte, so hatte sie doch, wenn sie ihm so nah war, immer das Gefühl, dass sie überhaupt nicht wusste, wer in seinem
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