Die Blutnacht: Roman (German Edition)
das Gefühl hinter einem Lächeln verbarg. Er verstand sie, obwohl ihn diese Erkenntnis erstaunte. In seinen Augen war sie ein kleines Mädchen, zumindest was solche Emotionen betraf. Sie hatte natürlich das Recht, sich ganz anders zu sehen.
»Als ich Estelle gesagt habe, dass ich dich suchen wollte«, sagte Tannhäuser, »hat sie mich gefragt, ob du eine von uns bist. Ich war mir nicht sicher, was sie damit meinte, aber ich habe ihr bestätigt, du wärst das. Ich habe damit gemeint, dass du eine von mir bist.«
»Das hoffe ich.«
»Das solltest du nicht.«
»Ich möchte nichts anders haben.«
Sie machte eine Handbewegung, die sie beide einbezog, und er sah die vermischten Flecken auf ihren Händen: Tinte, Pulverschmauch, Blut. Er hatte das Gefühl, die finsterste Tür zu ihrer Seele geöffnet zu haben; eine Tür, die besser geschlossen gebliebenwäre. Und doch blendete ihn beinahe das Licht, das durch diese Tür flutete und den Obsidian zum Leuchten brachte.
»Vor ein paar Minuten, ehe ich wusste, dass ihr hier wart, hatte ich gerade beschlossen, euch in Paris zurückzulassen.«
Sie zuckte nicht mit der Wimper. Aber das Licht in ihren Augen flackerte.
»Für deine Frau und euer Kind. Ich hätte das auch getan.«
»Carla hat mir gesagt, ich sollte dich suchen, obwohl es für ihr Kind gefährlich wäre.«
Pascale dachte darüber nach.
Er sagte: »Carla glaubt an das Beste in mir. Ich nicht.«
»Ich glaube an das alles.«
»Rufe die anderen.«
Pascale streckte die Hand nach dem schmutzigen weißen Band aus, das er noch hielt. Für ihn war es nichts als ein jämmerliches Symbol für sein blutiges Tagwerk. Vielleicht wollte sie es deswegen haben. Er gab es ihr. Sie sicherte die Pistole und bemerkte seinen anerkennenden Blick. Sie rannte die Treppe hinauf.
»Pascale.«
Sie drehte sich um. Er hatte sie verletzt. Sie wollte ihn das nicht wissen lassen.
»Ich war nicht besonders überrascht, als ich die ersten beiden Sergents gefunden habe, die in ihrem Blut lagen.«
Pascale war nicht sicher, wie sie das auffassen sollte.
»Ich hatte damit gerechnet, dass du eine so eiserne Seele hast.«
Ihre Laune besserte sich.
»Aber dass du dann den Dritten noch auf der Straße erledigt hast? Nenn es das Allerschönste.«
Pascale strahlte. Sie rannte in die Dunkelheit hinein. Er hörte, wie sie Juste rief.
Tannhäuser stand am Bug des kosmischen Schiffs, hundert Fuß über dem Vorplatz. Im Auge des Sturms, der in der Welt ringsum tobte. Er lehnte sich an einen Wasserspeier und schaute über die Stadt hinaus.
Die Dächer bildeten ein geometrisches Phantasiemuster in Schwarz und leuchtenden Grautönen. In den Wachtürmen entlang der riesigen Stadtmauer brannten Lampen. Aber im Innerender Stadt wagten nur wenige, ihre Fenster mit einem Lichtschein zu erhellen. Hunderte und Tausende verbargen sich im Dunklen und wunderten sich über die Welt, die sie zu kennen geglaubt hatten und die einfach so verschwunden war.
Er sah schwach und verschwommen gelbe Lichter, hier und dort an den beiden Flussufern verteilt. Die Fackeln der Mordbanden. Dann bemerkte er einen viel helleren Schein, der näher war und sich auf dem Pont Notre-Dame in ihre Richtung bewegte. Auf dem Vorplatz unten erblickte er Grégoire, der mit Clementine redete. Er nahm die Laterne wieder auf.
Die Mäuse tauchten auf, gelassen wie immer. Pascale folgte ihnen.
»Ich habe dein Gewehr auf einem Kohlenkahn gelassen. Es tut mir leid.«
»Das war richtig.«
»Ich habe auch die falsche Nachricht hinterlassen. Tybauts Zimmer sind am linken Ufer. Ich wusste nichts von dem Schlüssel zum Turm, bis Agnès und Marie gesagt haben, dass Juste ihn hätte.«
Tannhäuser hatte Juste selbst den Schlüssel zum Turm um den Hals gehängt. Wenn er sich daran erinnert hätte, hätte er sich eine Entscheidung ersparen können, die er nun bereute.
Juste tauchte mit Taschen beladen auf. Als er Tannhäuser anschaute, versuchte er den Schmerz in seinem Herzen zu verbergen, schaffte es aber nicht. Er wollte Tannhäuser die Satteltaschen nicht nehmen lassen. Tannhäuser drückte ihm den Arm.
»Ist Grégoire hier?«, fragte Juste.
»Wie sollten wir ohne Grégoire aus Paris herauskommen?«
»Ich denke, das könnten wir nicht«, stimmte Juste zu.
»Ohne ihn hätte ich euch überhaupt nicht gefunden. Und meine Frau und mein Kind auch nicht.«
»Carla lebt?« Diese Nachricht rührte Juste. Er ergriff Tannhäusers Hand. »Ich habe Flore vom Hôtel erzählt, von heute Morgen. Ich
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