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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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weg.
    Flussaufwärts führte eine Treppe zum Ufer, und er ging hinunter und watete bis zu den Knien seiner hohen Stiefel ins Wasser. Er beugte sich zum Fluss, wusch sich die Hände und schrubbte die blutverkrusteten Haare auf Unterarmen, Schulter und Brust sauber. Er tauchte mit dem Kopf unter Wasser. Er kratzte sich ganze Hände voller Blutklumpen aus dem Haar und ließ sie von der Strömung forttragen. Er drückte sich die Handflächen fest auf den Nacken und richtete sich auf.
    Jetzt fühlte er sich bereit, zu der kleinen Gesellschaft von Menschen auf dem Fischerboot zu stoßen.
    Wenn sie ihn noch haben wollten.
    Er stieg wieder auf den Kai und schaute zu ihnen hinüber.
    Carla stand auf dem Querbalken am Heck und war ihm zugewandt. Brennendes Holz und Holzkohle warfen eine Flammenwand hinter ihr auf. Der Fluss schien aus geschmolzenem Gold und Silber zu bestehen. Der Vollmond stand hoch über ihrem Kopf, und er konnte ihr Gesicht nicht sehen. Sie hätte ein uralter Wassergeist sein können, der aus den Tiefen aufgestiegen war.
    Carla hob Amparo mit beiden Händen hoch über ihren Kopf.
    Tannhäuser atmete tief durch.
    Es war ihm also vergeben worden.
    Er war gekommen, um seine Frau zu suchen, und nun nahm er auch noch eine Tochter mit nach Hause.
    Fünf Töchter. Er grinste. Warum nicht?
    Er überquerte den Kai und trat auf den blutbesudelten Damm. Er zog einen noch brauchbaren Breitkopfpfeil aus einer Leiche auf dem ersten Leichter. Im zweiten beugte er sich herunter, um die wiedergewonnenen Pfeile in den Köcher zu legen. Dann nahm er Altans Bogen auf. Hinter ihm hörte er die vollkommen abgestimmten Schritte von Soldaten, die das Marschieren gelernt hatten.
    Elf Schweizer Garden kamen vom Louvre zum Kai.
    Er wusste nicht, ob er zu müde zum Laufen oder zu müde zum Kämpfen war.
    Er schaute noch einmal. Zehn Gardesoldaten.
    Eine rundliche Gestalt trat vor und verneigte sich. Es war Arnauld de Torcy. Arnauld machte eine Geste zu Stefano, der den Trupp befehligte. Stefano deutete auf die Toten, die überall verstreut lagen. Seine Männer legten ihre Hellebarden auf einen Haufen und machten sich in Paaren daran, die Leichen in die Seine zu werfen.
    »Tannhäuser«, sagte Arnauld. »Eines Tages werdet Ihr über einen Platz zu viel schreiten.«
    »Liegt der König zu Bett?«
    »Seine Majestät hatten einen anstrengenden Tag. Es besteht keine Notwendigkeit, ihn noch weiter anzustrengen.«
    Tannhäuser schaute zu den Garden, die ächzend und stöhnend über die blutigen Planken schlitterten. Er zog fragend eine Augenbraue hoch.
    »Das Grab für Verräter«, meinte Arnauld. »Sie haben nicht im Namen Seiner Majestät gehandelt.«
    »Ich auch nicht.«
    »Ihr wart auch nicht auf Seine Majestät eingeschworen.«
    »Unser junger Schützling Juste ist tot.«
    »Ich habe alles vom Turm aus gesehen.«
    »Weiß der König, dass es morgen noch schlimmer wird?«
    Arnauld antwortete nicht. Er hatte seine Wahl getroffen, und es würde ihm gut dabei gehen.
    »Viel Glück, mein Freund«, sagte Tannhäuser. »Adieu.«
    Er spannte seine Beinmuskeln an, als der Schiffskörper unter ihm zu rollen begann.
    Die Sperre war durchbrochen.
    Er wandte sich um und sah, wie Grymonde im dritten Boot seine Oberschenkel gegen den Bug stemmte und die Beine über die Bordwand schwang. Hinter ihm trieb der brennende Kahn fort, als die Strömung einen größeren Abschnitt der Schiffsbarriere gegen das linke Ufer schwemmte.
    Tannhäuser rannte.
    »Mein Infant, warte!«
    Doch Grymonde straffte schon die Schultern und stemmte sich in die Seine.



KAPITEL 43

M EINE T RÄNEN HABEN
MICH BLIND GEMACHT
    Als Mattias beinahe auf das Fischerboot zulief, dann aber doch umkehrte, wusste Carla, dass er in eine Dunkelheit rennen würde, die schwärzer war als jede Nacht. Sie wusste, dass er nicht umkehren musste. Und sie wusste, dass es für ihn nötig war.
    Sie nahm Estelle Amparo ab und drückte das Kind an sich. Dieses gemeinsame Kind schenkte ihr Trost, während sie zuschaute, wie Mattias kaum fünfzig Schritte entfernt ein Blutbad anrichtete.
    Sein Absturz in diesen gewalttätigen Wahnsinn schockierte die Kinder, sogar Pascale, die ihn anbetete. Sie hatten geglaubt, ihn zu kennen; und sie hatten gewusst, dass er ein blutrünstiger Mann war; aber jetzt waren sie entsetzt. Sie litten Todesängste. Einen Augenblick lang Carla auch. Die sterbenden Männer waren ihr gleichgültig, wie sie zu Dreien und Vieren in blutigen Haufen zu Boden gingen. Sie war sicher,

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