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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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kämpfen.
    Die Garden begannen, die Toten ins Wasser zu werfen.
    Sie hörte, wie Mattias sich von ihrem Sprecher verabschiedete.
    Sie hörte Eisen auf Holz knirschen.
    Die Strömung riss die Sperre entzwei.
    Grymonde warf die Hellebarde weg und sprang über den Bug, als die Klampe, die er halb gelockert hatte, völlig aus dem Holz gehebelt wurde. Es sah aus, als hoffte er, das forttreibende Heck zu packen und die ganze Sperre durch schiere Willenskraft zusammenzuhalten.Er griff in die Luft. Carla wollte ihm gerade etwas zurufen, als die plötzlich nachlassende Spannung der Barriere und die nun nicht mehr gebremste Strömung das Fischerboot vom Schiffsrumpf des Leichters wegschoben.
    Der Bootshaken löste sich von der Bordwand. Die Stange rutschte Agnès und Marie aus den Händen, die genauso sehr geschluchzt hatten wie alle anderen. Sie waren ungeheuer entsetzt über ihr Versagen und streckten die Hände aus. Pascale griff ebenfalls nach dem Bootshaken, ebenso Orlandu. Aber sie kamen alle zu spät, und der Haken fiel ins Wasser und schwamm fort.
    Das Fischerboot trieb auf den Wellen, und die Kinder gerieten in Panik.
    Carla begriff, dass sie fürchteten, Mattias zu verlieren.
    »Pascale, hol die Dockleine.«
    Carla deutete auf das zusammengerollte Tau unter der vorderen Bank.
    Pascale sprang über die Bank und kramte nach dem Tau.
    »Wirf es Grymonde zu. Grymonde!«
    Grymonde saß auf dem Bug, die Beine über dem Wasser. Er hatte sich die Kette, die immer noch am Leichter befestigt war, um das linke Handgelenk gewickelt. Er schob sich ins Wasser. Einen Augenblick lang verstand sie nicht, was er machte, ehe die beiden Seiten der Sperre sich weit auftaten und das Fischerboot in die Lücke getragen wurde.
    »Pascale, Orlandu, macht die Ruder bereit.«
    Grymonde war vor ihnen da. Mit einem Brüllen, mit dem er alle Wut und allen Schmerz aus sich herausschrie, zog er sich an der Kette hoch, packte das Fischerboot am Heck und hielt es gegen die Strömung fest.
    Carla konnte nichts tun, um ihm zu helfen. Sie hätte ihm sagen können, er sollte loslassen, dass seine furchtbare Anstrengung nicht nötig war, aber dann hätte sie ihm das einzig Wertvolle genommen, was ihm noch geblieben war.
    Orlandu legte mit einer Hand ein Ruder in die Dolle backbords ein, und Pascale setzte sich neben ihn und hob das andere auf. Sie würden Mattias nicht hier zurücklassen. Aber Grymonde würden sie verlassen.
    Der wäre ohnehin zurückgeblieben. Natürlich. Aber daran hatte sie bisher nicht gedacht. Dieses Wissen stürzte sie in einen Tumult der Gefühle, vor allem der Traurigkeit. Nein. Vor allem war da Liebe. Seine riesige Pranke war nur wenige Zoll von ihrer entfernt, die Finger so dick wie Pikenschäfte, und sie packten die Bordwand, als wollten sie das Holz zersplittern. Sie legte ihre Hand auf die seine und wandte sich zu ihm um. Das Gewicht des voll beladenen Fischerboots hatte ihn gestreckt wie einen Gekreuzigten. Er spuckte Wasser, als die Strömung sie langsam, aber sicher immer weiter zum Ufer trieb. Die Höhlen in seinem versengten und deformierten Gesicht scherten sich nicht um seine Qual. Sie sahen einfach alles.
    »Grymonde.« Carla wusste nicht, wie sie weitersprechen sollte.
    »Es waren nicht Tränen, die diesen Mann blind gemacht haben«, sagte er. »Also sollen auch keine für ihn vergossen werden.«
    »Grymonde!« Estelle stand auf.
    Carla legte den Arm um sie, um sie festzuhalten.
    »La Rossa, mein Schatz. Sei deiner Schwester und ihrer Mutter treu.«
    »Das will ich.«
    »Ich werde auf dich aufpassen.«
    »Wie ein Engel?«
    Grymonde rang nach Atem.
    »Ein schwarzer Engel?« Estelle schaute zu ihm auf. »Wie der von Tannser?«
    Da lehnte sich Mattias hinter Grymonde über den Bug, streckte eine Hellebarde herüber, sicherte das Fischerboot mit dem Haken der Waffe und zog es zu sich herüber. Grymonde hielt weiter fest, ließ sich aber ins Wasser sinken.
    »Mein Infant, du bist mir im Weg.«
    »Dann geh um mich herum, daran bin ich gewöhnt.«
    Mattias änderte die Position des Hakens, der nun auf Carlas anderer Seite das Boot hielt, und sie rutschte ein wenig herüber. Mattias schwang ein Bein über die Bordwand, dann das zweite, trat auf den Querbalken und warf die Hellebarde in den Fluss, während er sich mit der freien Hand noch am Leichter festhielt.
    Ein Geräusch, das niemand je gehört hatte, explodierte in die Nacht hinein.
    Carla wandte sich dorthin, wie es alle taten.
    Weil die beiden Seiten der Sperre immer

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