Die Blutnacht: Roman (German Edition)
verdienen?«
»Hunde oder Maden, deine Brüder sind zum Sterben aus Polen hergekommen. Ihre Namen waren im Buch des Schicksals verzeichnet, ehe sie die Oder überquerten.«
»Vielleicht auch Eurer.«
»Diese Seite wird in Paris nicht aufgeblättert.«
»Ihr redet schon wie Benedykt.«
Juste schaute mürrisch. Tannhäuser beschloss, dass nun keine Zeit für Mitleid war.
»Du bist mir eine Last, aber ich will sie auf mich nehmen. Ich habe dich unter meinen Schutz gestellt, aber du bist nicht mein Gefangener. Wenn meine Gesellschaft dir so missfällt, steht es dir frei, eigene Wege zu gehen. Doch wenn wir Verbündete sind, musst du aufhören zu hadern. Sonst fordert dich der Tod ein wie eine alte Schuld. Und vielleicht auch Grégoire mit dazu, denn zumindest seine Tugend steht ja außer Frage, und er wird einem Freund treu zur Seite stehen. Stimmst du mir zu?«
»Ich stimme Euch zu, und ich bitte um Verzeihung.«
»Die sei dir gewährt. Und ich erbitte deine, wenn ich sie auch nicht erwarte.«
Eben kam Grégoire um eine Ecke gebogen und führte eine unglaublich große graue Stute.
Die Stute war ein außergewöhnliches Tier, siebzehn Spannen mindestens, mit einer Römernase, einer breiten Brust, ungeheurerKruppe und weißer Federbehaarung an den Hufen. Ihr Fell zeigte zahlreiche Zeichen schlechter Behandlung ; Narben, Verbrennungen und Kerben, die Unfälle hinterlassen hatten, sowie Wunden, die ihr gemeine Menschen zugefügt hatten.
Irgendwie hatte Grégoire es geschafft, das Tier zu satteln.
»Grégoire, diese Mähre ist ein Karrengaul. Ich kann kaum über ihren Rücken schauen.«
»Das ist das beste Pferd für Euch, Sire. Schaut sie an – ruhig, stark, furchtlos. All die anderen, die feinen Pferde, hatten Angst vor den Schüssen, dem Rauch, dem Blutgeruch. Sie hat Heu gefressen. Nichts wird sie erschrecken. Und sie läuft auch nicht weg, wenn Ihr sie vor dem Gasthaus stehen lasst. Und Ihr reitet viel höher über all dem Unrat. Clementine wird sich immer ihren Weg bahnen.«
»Clementine?«
»Clementine gefällt Euch nicht?«
»Mir schon«, warf Juste ein.
Die beiden schauten Tannhäuser an, als erwarteten sie das Urteil des Salomon.
»Genau den Namen hätte ich auch gewählt.«
Er stand vor der riesigen Stute, sah sie an und ließ sich von ihr mustern. Sie hatte keinen Grund, Leuten wie ihm zu trauen, schnaubte nur und behielt sich weise ihr Urteil vor. Er murmelte ein paar zärtliche Worte auf Türkisch und wurde mit einem Wiehern belohnt, das seine Brust erbeben ließ. Er nahm das als vorläufige Billigung hin und schwang sich in den Sattel.
»Grégoire, als Pferdekenner bist du unübertroffen!«
Sobald er auf dem Leder gelandet war, wusste er, dass der Junge ein hervorragendes Pferd ausgesucht hatte. »Jungs, packt jeder einen Steigbügel und haltet euch gut fest. Bringt mich zu den Galgen.«
KAPITEL 10
A US DEM S TARKEN
KAM S ÜSSES
Zuerst waren die Straßen ruhig.
Wie immer am Sonntag war der Tumult des Morgengrauens gedämpft. Gerüchte über Gemetzel und Rebellion hatten Tausende dazu bewegt, zu Hause zu bleiben. Durch eine Lücke zwischen den Häusern entlang der Seine sah Tannhäuser einen einsamen Bootsmann, der sein Schiff über den Fluss stakte. Möwen patrouillierten am Ufer.
Die kleine Gruppe kam an bewaffneten Bürgern vorüber, die weiße Armbinden trugen und weiße Kreuze an die Kappen geheftet hatten. Manche trugen grellbunte Fahnen. Keine Bogenschützen, keine Armbrustschützen, also nicht die reguläre Stadtwache. Die Männer trieben sich mit der selbstgerechten Miene von staatlich unterstützten Scheinheiligen auf den Kais herum. Das Kreuz auf Tannhäusers Brust wurde mit begeistertem Winken von Fahnen und Speeren begrüßt.
Als Clementine den Pont Notre-Dame erreichte, hatte die Bürgerwehr quer über die Straße zwischen eisernen Haken in den Häusern zu beiden Seiten der Brücke eine Kette gespannt. Tannhäuser drängte vorwärts, obwohl inzwischen so viele bewaffnete Männer die Straße bevölkerten, dass er Clementine zum Schritt verlangsamen musste, damit das Pferd die Leute nicht in Scharen niedermähte.
Grégoire hatte sich die Schuhe an den verknoteten Schnürsenkeln um den Hals gehängt und hielt sie mit beiden Händen fest, damit sie ihm nicht bei jedem Schritt gegen den Mund schlugen. Er ließ sie los, um Clementine die gewaltige Schulter zu tätscheln.
»Eine gute Wahl, Meister?«
»Ihr Vater muss Pegasus gewesen sein.«
Der Junge grinste schief.
Vor
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