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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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ihnen erstreckte sich die Place de Grève. Dort drängten sich Scharen von Milizen, die ihre Fahnen schwenkten. Einige Trommler übten ihre Wirbel, aber niemand marschierte. Ein Prediger redete mit apokalyptischen Phantasien auf die Truppen ein. Köche entfachten das Feuer in ihren Feuerschalen. Unternehmungslustige Huren versuchten ihr Glück. Eine Vielzahl von Hunden schnüffelte nach Essensresten.
    Tannhäuser sah die Galgen. Die Holzbalken waren mit den letzten Exkrementen der Verdammten besudelt. Selbst auf diese Entfernung war der Gestank stechend.
    Jenseits der Galgen stand das erst halbvollendete Rathaus, das Hôtel de Ville , wo diejenigen, die sich für die Besten der Stadt hielten, neue Katastrophen für die Bevölkerung erdachten. An der Fassade prangte das Motto: Ein König, ein Gesetz, ein Glaube . Bogenschützen, Armbrustschützen und Hellebardiere standen vor dem Gebäude und reichten einen Weinschlauch von Hand zu Hand. Artilleriesoldaten zogen acht Bronzekanonen herum. Die Kirchenglocken läuteten.
    Grégoire führte sie nach Norden zur Rue du Temple. Wie alle außer zwei, drei der größten Straßen war sie nicht gepflastert. Auch hier hatte man eine Eisenkette über die Straße gespannt. Ein Wachmann lehnte an der Stange einer Glefe, deren Spitze ihn um Armeslänge überragte. Er hob die Hand, um sie aufzuhalten.
    Tannhäuser starrte ihn an. »Du benutzt die Hand besser, um die Kette zu senken, sonst schneide ich sie dir ab«, sagte er.
    Die verschiedensten Gefühle huschten über das Gesicht des Wachsoldaten, aber er schien zu keinem rechten Schluss zu kommen. Juste trat vor, um dem Kerl Schmerzen zu ersparen.
    »Wenn es recht ist, Monsieur, dann lasst mich die Kette für meinen Herrn herunterlassen, sonst bringt er Euch um, und dann hätteer sieben Männer in weniger als einem halben Tag dahingemetzelt.«
    Justes Worte waren so eindringlich, dass der Wachsoldat über den Schaft seines Speers stolperte, so eilig hatte er es, die Kette auszuhaken. Clementine schnaubte und trottete voran.
    »Sag mir, Bursche«, meinte Tannhäuser, »was genau war dein Befehl?«
    »Hervé, der Gipser, zu Befehl, Sire! Unser Befehl ist, die Hugenottenrebellen an der Flucht zu hindern. Oder am Angriff. Es ist nicht gewiss, was sie vorhaben. Aber sicher nichts Gutes.«
    Soweit Tannhäusers Auge reichte, war die Rue du Temple menschenleer.
    »Hat man schon eine Rebellenarmee gesichtet?«
    »Das weiß ich nicht, Sire, aber ich weiß – wie ein jeder –, dass diese Teufel sich schon jahrelang von überall aus dem Land hier hergeschlichen haben. Leute aus der Normandie, Leute aus dem Süden. Auch Ausländer, blutrünstige Kerle und nur aufs Plündern aus. Dieses Viertel hier, Sainte-Avoye, wimmelt nur so von Ketzern. Die haben Brennholz und Pulver in ihren Häusern angehäuft, wollen die Stadt niederbrennen, genau wie seinerzeit 1565 die Windmühlen. Man kann den eigenen Nachbarn nicht mehr trauen. Ich musste einen guten Mantel für diese Lanze verkaufen. Aber Sicherheit geht vor …«
    Tannhäuser spornte Clementine zum Trab an.
    »Wenn wir unsere Stadt nicht schützen, wer dann? Die Ratsherren? Die Malteserritter? Und recht herzlichen Dank für Euren Beitrag zur gerechten Sache!«
    Die Straße war weiterhin menschenleer, die Hufe schallten laut im frühmorgendlichen Schatten. Die Häuserfassaden mit den verriegelten Klappläden, manche drei, manche gar sechs Stockwerke hoch, zeigten keinerlei Anzeichen, dass sie bewohnt waren, nicht einmal Rauch drang aus dem Küchenschornstein. Die konnten doch nicht alle furchtsamen Hugenotten gehören. Aber für friedliche Katholiken war das Leben ja nicht viel sicherer. Nur Wagemutige, Militante und Kriminelle würden sich an solch einem Morgen herauswagen. Die Stadt war von Schwertern eingezäunt. Alle, die er heute getroffen hatte, hatten sich auf ihre Weise gefürchtet.Jetzt, da er Carla so nah war, begriff er, wie sehr er selbst sich fürchtete.
    Die Jungen an seinen Steigbügeln rannten nun, so schnell sie konnten, liefen mit jedem Schritt Gefahr, zu straucheln und unter die Hufe von Clementine zu geraten.
    »Lasst die Steigbügel los, Jung’. Ich reite voran.«
    Die beiden fielen zurück, und beinahe sofort schnaubte Clementine angewidert. Tannhäuser roch es auch. Verbranntes Fleisch und Haar. Blut. Tod.
    Vor sich sah er zu beiden Seiten die alten Stadtmauern von Phillipe Auguste. Die hatte Petit Christian erwähnt. Drei Honigbienen über der Tür. Auf der westlichen

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