Die Blutnacht: Roman (German Edition)
auf, als Tannhäuser die durchtränkten Bandagen fortzog. Das Leinen klebte an der Haut fest, die zu reißen begann wie die Schale einer überreifen Aprikose.
»Halt. Wenn er den Arm nicht verlieren soll, müssen wir den Verband einweichen, um ihn abnehmen zu können. Mit einer Mischung aus schwarzem Wein und Oxycratum 3 , das wir über der Lampenflamme erwärmen.«
»Hervorragend«, stimmte Tannhäuser zu. »Er verliert den Arm allerdings vielleicht ohnehin.«
»Oder das Leben. Könnt Ihr sagen, wie alt die Wunde ist?«
»Anderthalb Tage, vielleicht älter.«
Paré öffnete ein Kästchen, das voller Schubladen, Pillendosen, Pülverchen, Flaschen und Ampullen war, und mischte etwas in einer Glasretorte zusammen.
»Juste, stell die Lampe wieder auf den Tisch und halte diese Retorte über die Flamme. Deine Hand ist ruhiger als meine. Schwenke die Mischung langsam, damit sie sich gleichmäßig erwärmt. Wenn du siehst, dass Dampf von der Oberfläche aufsteigt, nimm sie von der Flamme und gieße sie in diese Schale.«
Juste nahm das Glasgefäß und tat, wie ihm geheißen war. Er konzentrierte sich sehr auf seine Aufgabe, und Tannhäuser sah zum ersten Mal, dass Sorge und Leid von seinem Gesicht wichen.
»Du wärst ein guter Assistent«, lobte Paré.
»Danke, Sire.«
»Mein letzter Assistent sollte schon bald die Prüfung zum Bakkalaureus ablegen. Man hat ihn vor kaum einer Stunde dort auf der Treppe zum Speicher von hinten erstochen. Teligny und die anderen haben es bis aufs Dach geschafft, ehe sie niedergeschossen wurden.«
»Das tut mir leid, Sire«, sagte Juste. »Der Assistent eines Chirurgen sollte viel mehr noch als andere davor geschützt sein, ein so grausames Schicksal zu erleiden. Ich werde für ihn beten.«
»Aus welchem Teil Polens kommst du?«, fragte Paré. »Aus Kleinpolen? Oder aus dem Norden?«
»Aus Kleinpolen. Bei Krakau.«
Tannhäuser, der völlig unbegründeten väterlichen Stolz auf Justes Intelligenz und Haltung verspürt hatte, wunderte sich. Er fühlte sich gar ein wenig tölpelhaft. Paré merkte das.
»Sein Akzent ist sehr schwach. Euren kann ich nicht einordnen, obwohl er stärker ist.«
»Das zumindest wundert mich nicht.«
Tannhäuser hatte die letzten sieben Jahre damit verbracht, sein Französisch zu verbessern, eine Sprache, die er einmal furchtbar gefunden hatte, nun aber liebte. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass Carla seine wichtigste Lehrerin war. Nun dachte er sogar auf Französisch. Er konnte seinen Lebensweg mit den Sprachen nachzeichnen, die ihm das Schicksal aufgezwungen hatte: Deutsch, Türkisch, eine Mischung italienischer Dialekte.
Tannhäuser sagte: »Da seid ihr für die Hochzeit weit angereist.«
»Wir sind nicht für die Hochzeit hergekommen. Unser guter König Sigismundus Augustus ist tot. Henri von Anjou hat Absichtenauf seine Krone.« Juste nahm die Retorte von der Flamme und leerte den Inhalt in die Schale. »Die lutherischen Kurfürsten haben meine Brüder hergeschickt, wo sie sich mit Anjou treffen und herausfinden sollten, was für ein Mann er ist. Aber wir sind nie an Eurem Freund Torcy vorbeigekommen. Benedykt war sehr wütend auf ihn.«
»Anjou hegt nicht den Wunsch, in Polen zu leben«, sagte Paré. »Er hält alle Polen für Schweinezüchter.«
»In Polen führen Katholiken und Protestanten nicht endlos Krieg miteinander. Unser Volk verhungert nicht. Unsere Felder sind nicht verbrannt. Wir haben nicht all unser Gold für deutsche Söldner ausgegeben, damit sie unser Land verwüsten. Und wir haben eine Methode erfunden, unsere Scheiße zu beseitigen, anstatt sie wie im Louvre in Haufen verrotten zu lassen.«
Tannhäuser kannte den Jungen zwar besser, war jedoch mehr von dieser Tirade überrascht als Paré.
»Ich wollte nicht respektlos über deine große und berühmte Nation sprechen«, sagte Paré. »Alles, was du sagst, ist wahr. Ich bete zu Gott, wir hätten einen Staatsmann vom Genie eines Sigismund auf dem französischen Thron. Aber das haben wir nicht. Ich meinte übrigens, dass Anjous Mutter, Königin Catherine, für ihren Sohn Absichten auf die polnische Krone hat. Sie wird die polnischen Kurfürsten überreden, ihn zu wählen. Und Anjou gehorcht seiner Mutter, ob ihm Polen gefällt oder nicht.«
»Und dann werden sie die polnische Staatskasse bis auf den Mausedreck ausplündern«, sagte Tannhäuser. »Aber Anjou ist ein dekadenter Tropf. Warum sollten die Polen einen König wollen, der in Frauenkleidern
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