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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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waren billig, aber in geschickten Händen oder bei einem Massenangriff tödlich.
    Er untersuchte den Leichnam, den er von der Straße aus gesehen hatte, nun näher.
    Es war Altan Savas. Er lag in einer großen Lache gerinnenden Bluts. Ratten hockten auf seinen Oberschenkeln und seiner Brust und nagten an seinen Wunden. Tannhäuser scheuchte sie fort. Er steckte seinen Dolch weg.
    Er hatte damit gerechnet, dass Altan tot war, seit er Symonne d’Aubray blutend an einem Fensterkreuz hatte hängen sehen. Altan war nicht der Mann gewesen, der eine Gefechtsstellung verließ, oder sonst etwas, dem er sich verpflichtet hatte. Als Tannhäuser ihn auf Malta von den Meeresrittern gekauft hatte, hatte es noch andere Janitscharensklaven in den Verliesen von St. Anton gegeben. Tannhäusers Instinkt hatte seinen Entschluss geleitet. Er erinnerte sich an die Worte, mit denen sie ihr Abkommen besiegelt hatten. Altan hatte nach kurzer Überlegung gesagt: »Wenn Ihr als Preis für die Freiheit verlangt, dass ich dem Propheten, gesegnet sei sein Name, abschwöre, dann könnt Ihr mich ebenso gleich ans Ruder angekettet lassen.«
    Roter Sonnenaufgang war sein Name gewesen, und in einer blutigen Morgenröte war er gestorben.
    Ihre Freundschaft war umso tiefer gewesen, weil sie nicht sehr warmherzig war. Altan hatte ihn höchstens einmal nach einem Kampf angelächelt, wenn sie das Blut von ihren Waffen wischten.Während der Kriege, als ausgehungerte Söldnertruppen und Deserteure das Land verwüsteten, hatte es mehr als genug Gelegenheiten für dieses Lächeln gegeben. Nun blickte Tannhäuser auf Altans Leiche und spürte einen tiefen Schmerz.
    Er musterte Altans Wunden.
    Man hatte ihn mit einer Pistole aus nächster Nähe ins linke Auge geschossen. Sein Gesicht war vom Pulver schwarz und blasig verbrannt. Ansonsten war sein Schädel unverletzt. Eine Reihe von Messerwunden hatte das Herz durchstochen. Man hatte ihm seine Kleidung und seine Waffen abgenommen. Große Hautflächen waren von seinen Oberschenkeln abgeschält worden. Seine Mörder hatten die Janitscharentätowierungen als Trophäen mitgenommen.
    Tannhäuser vermutete, dass Altan einen Späher erwischt, massakriert und an die Hintertür gehängt hatte, um weitere Eindringlinge abzuschrecken. Einige Kerzenstummel brannten noch auf dem Boden des Flurs. Sie hatten für den Kampf Licht gespendet. Ein Schlachtfeld und ein Engpass. Altan war auf die Männer vorbereitet gewesen, die durch die eingetretene Tür kamen, und, nach dem vielen Blut zu urteilen, hatte er einige getötet. Tannhäuser glaubte nicht, dass jemand, der von der Straßenseite aus angriff, nahe genug an Altan herangekommen wäre, um ihm eine Pistole ins Gesicht abzuschießen. Sein Mörder musste von hinten gekommen sein. Ein einziger Schuss aus nächster Nähe hatte ihn unerwartet getroffen, war wohl auf seinen Hinterkopf gerichtet gewesen.
    Tannhäuser schaute die Treppe hinauf.
    Es stank nach verbranntem Haar.
    Altan Savas hatte versucht, Carla zu beschützen, und war beim Versuch umgekommen. Carla würde da oben liegen. Nackt, tot, wahrscheinlich verstümmelt, vielleicht ihres Kindes beraubt. Vergewaltigt. Sie hatten Trophäen mitgenommen. Wie oft hatte er schon derart missbrauchte Frauen gesehen, an allen Enden der Welt? Eine solche Frau, seine Mutter, bildete den Anfang all seiner Erinnerungen. In diesem Bild lag sie nackt ausgestreckt und missbraucht auf der Flanke eines toten Pferdes. Er dachte an Amparo, die er geliebt hatte, und versuchte den Gedanken an sie zu verdrängen, denn auch sein letztes Bild von ihr war der Anblick einer Bluttat, die er nicht hatte verhindern können.
    Und jetzt war Carla ein Opfer des Fluchs geworden, mit dem ihn wohl die Sterne bei seiner Geburt belegt hatten. Es war der Preis, den die himmlische Gerechtigkeit im Voraus für die Verbrechen verlangte, die er begehen sollte. Carla war also fort. Er sorgte sich nicht um ihre Seele. Doch welches Schicksal wartete auf die Seele ihres ungeborenen Kindes? Tannhäuser wusste es nicht.
    Er lebte noch, und sie nicht mehr.
    Und jetzt war er frei.
    Jetzt müsste er die Qual der Liebe nicht mehr ertragen, ihre Bürde nicht mehr schultern, nicht mehr mit der Furcht leben, die mit ihr einherging. Er müsste Carla nie mehr vermissen, nur noch um sie trauern. Die schreckliche Erleichterung, die ihn durchflutete, widerte ihn an, aber er konnte sie nicht leugnen. Er würde nie mehr lieben. Er würde nie wieder jemanden verlieren. Er hatte schon zu

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