Die Blutnacht: Roman (German Edition)
herumläuft?«
»Diese Frage hätten meine Brüder mit nach Krakau zurückgenommen«, sagte Juste.
Paré reichte Tannhäuser die Schale mit dem warmen schwarzen Wein und dem Oxycratum.
»Genug der Politik. Weicht den Verband ein, und dann schneide ich Eurem Sohn das Gift heraus.«
Parés Geschick war erstaunlich. Er öffnete die Wunde, schnitt das tote Gewebe zurück, bis es blutete, entfernte Stofffasern und mit einem zweiten Schnitt eine kleine Eisenkugel, die er Tannhäuser gab.
»Eine Pistolenkugel«, sagte Tannhäuser.
»Keine Pulververbrennung, Schusspflaster in der Wunde. Von hinten angeschossen, aus zwanzig oder mehr Fuß Abstand.«
»Geschossen, um zu töten.«
»Das gilt wohl für die meisten Schüsse«, stimmte Paré zu. »Es sei denn, man hat es mit einem außergewöhnlich präzisen Schützen zu tun.«
»Ein solcher Schütze wüsste aber, dass die Wahrscheinlichkeit größer ist, das Opfer ganz zu verfehlen oder in den Rücken zu schießen. Und doch haben sie ihn nicht erledigt.«
»Er hat auch einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen«, meinte Paré. »Wohl um ihn zu betäuben. Aber wer sind ›sie‹?«
Tannhäuser antwortete: »Ich weiß es nicht.«
Paré fuhr fort, die Wunde zu behandeln, und tupfte die Tinktur mit der Aegyptiaksalbe auf. Orlandu versuchte, den Arm fortzuziehen. Der Schmerz musste schrecklich gewesen sein, aber er war nicht zu Bewusstsein gekommen. Man hatte ihm wohl das ganze Fläschchen Opiumtinktur eingeflößt.
»Ich habe ihn verbunden«, sagte Paré. »Jetzt muss Gott ihn heilen.«
Tannhäuser nahm zwei Goldmünzen aus der nach Lavendel duftenden Börse. Ihrem Gewicht nach waren es spanische Doppeldublonen, jede zwanzig Livres wert. Ehe er eine wieder in den Beutel fallen lassen konnte, hatte das Klirren verraten, dass er zwei in der Hand hielt. Paré hatte bereits die Hand ausgestreckt und erwartungsvoll die Brauen hochgezogen. Tannhäuser gab ihm das Gold. Wahrscheinlich lächelte Paré seit zwei Tagen zum ersten Mal wieder.
Der Chirurg meinte, es wäre unklug, Orlandu an einen anderen Ort zu bringen, man solle mindestens warten, bis der Junge aufgewacht war, wenn er denn überhaupt aufwachen würde. Jedenfalls wusste Tannhäuser im Augenblick auch keinen Ort, der sicherer gewesen wäre. Später konnte er einen Karren mieten und Orlandu ins Hôtel d’Aubray oder vielleicht zu den Tempelrittern bringen. Bis dahin müsste sich Orlandu im Mittelpunkt des Gemetzels erholen. Vielleicht war dies ein besserer Ort als mancher andere. Es war ja allgemein bekannt, dass in diesem Haus niemand übrig war, den man töten musste. Paré würde sich erst wieder auf die Straßewagen, wenn er Befehle aus dem Louvre erhielt, und dann auch nur mit Leibwache. Und der König hatte im Augenblick andere Sorgen.
»Mit Eurer Erlaubnis postiere ich meinen Mann Stefano hier oben, um Eure Sicherheit zu gewährleisten. Zu Eurer Beruhigung kann ich Euch bestätigen, dass er sich nicht an dem Massaker beteiligt hat. Wenn er es auch zweifellos getan hätte, hätte man es ihm befohlen.«
»Wenn Ihr ihm Euren Sohn anvertraut, kann ich kaum klagen.«
»Juste bleibt auch hier. Wie Ihr gesehen habt, ist er eine gute Gesellschaft.«
»Auf keinen Fall«, erwiderte Paré.
»Ich will mit Euch kommen, Sire«, sagte Juste. »Ihr habt es versprochen. Ihr habt meine drei Brüder umgebracht und versprochen, mich zu beschützen.«
Tannhäuser merkte, dass Paré ihn fragend anschaute und dass sein guter Ruf, um den er sich so bemüht hatte, rasch verblasste.
»Die Brüder haben mich zu einem Duell gezwungen. Es hatte nichts mit religiösem Zwist zu tun.«
»Nein«, merkte Juste an. »Ihr würdet jeden töten.«
»Hätte ich gewusst, dass ihr Polen seid, wäre ich weniger kampfeslustig gewesen.«
»Warum? Weil Ihr uns verachtet?«
»Weil Männer des Nordens Verbündete sein sollten.«
»Dann sollen wir Verbündete sein, und ich sollte mit Euch mitkommen.«
»Deine Wünsche tun nichts zur Sache.«
Paré sagte: »Ich hoffe, meine sind Euch nicht gleichgültig. Ich vertraue auf meine Autorität, den Patienten zu beschützen, solange ich hier bin, aber vor Juste kann ich mich nicht stellen.«
Tannhäuser wollte darauf hinweisen, dass Stefano den Schutz übernehmen würde.
»Ich habe genug Morde gesehen. Es tut mir leid.«
Tannhäuser verneigte sich. Paré hatte recht. Wenn man entdeckte, dass Juste Lutheraner war, konnte seine Anwesenheit auch Orlandu gefährden. Er würde ihn mitnehmen.
»Meister
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