Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
Dorf, da ein paar Stunden ab vom Weg im Westen. Du fragst deinen Mann, dann gehen wir dahin.«
Sie nickte und sah zu Wilkin hinüber, der es gerade mit Irinas Hilfe geschafft hatte, ihr Zeltdach zwischen den Felsen aufzuspannen. Irina setzte sich sogleich darunter auf einen Stein und sank hustend in sich zusammen, während Wilkin sich keuchend gegen den Fels lehnte. Sein Atem rasselte, und seine Augen glänzten ungesund. Hedwig vermutete, dass ihm Schweiß auf der Stirn stand, doch nasse Gesichter hatten sie von der ständigen Feuchtigkeit alle. Sie trat vor ihn und strich über seinen Arm, dort, wo der Kettenärmel seiner leichten Rüstung endete, die er unterwegs nur zum Schlafen ablegte. » Wenn wir morgen einen kleinen Umweg machen, können wir ein Dorf erreichen. Ich denke, das sollten wir tun.«
Er schnaubte verärgert und schlug mit der flachen Hand gegen den Felsen. » Das ist schlecht. Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, wenn das Wetter sich über Nacht nicht bessert. Aber es ist schlecht. Ich hätte euch Frauen nicht mitnehmen dürfen. Die Männer müssen Entbehrungen aushalten können. Aber ihr… Es tut mir leid, mein Engel. Du solltest in sauberen Gewändern am Feuer einer Halle sitzen, freundliche Gesellschaft und gute Mahlzeiten genießen und dich schönem Zierwerk widmen. Es war meine Eigensucht, die dich in dieses Elend geführt hat.«
Sie schüttelte den Kopf, ein wenig belustigt, weil er ihr Freude am Anfertigen von Zierwerk unterstellte. Eine Fülle praktischer Fertigkeiten beherrschte sie, und vermutlich hätte sie auch die feinen Nadelarbeiten meistern können, die er wohl im Sinn hatte. Bisher hatte sie es allerdings schnell wieder aufgegeben, wann immer sie es versucht hatte. » Ich glaube, du solltest mit deiner heiseren Stimme nicht so viel sprechen. Du hast mich nicht aus Eigennutz mitgenommen, sondern weil ich zu dir gehöre. Lass uns dieses Dorf aufsuchen und einige Tage dort verbringen. Wir können es auch dann noch vor dem Winter nach Ofen schaffen.«
Er hustete und brauchte eine Weile, sich wieder zu fangen. » Wenn das hier nicht der Winter ist, was ist es dann? Ich wusste nicht, dass dieses Land so kalt ist.«
Der Plan, Unterschlupf im nächstgelegenen Dorf zu suchen, wurde von allen dankbar aufgenommen. Als der Pole jedoch von der bisherigen Richtung abwich und ihnen auf einem schmalen Pfad vorausritt, der entlang einer Klamm höher in die Berge führte, erwachten erneut Zweifel, ob sie das Richtige taten. Der Bach, der in der Klamm rauschend und weiß schäumend von Stufe zu Stufe dem Tal zusprang, wurde zu ihrer Linken immer kleiner; der Steilhang, der zu ihm abfiel, immer schwindelerregender. Weil nicht genug Platz für zwei Pferde nebeneinander war, hatte sie auch die Handpferde so zusammenbinden müssen, dass alle hintereinander gehen konnten. Die sechzehn Tiere zogen sich auf diese Art zu einer so langen Kolonne auseinander, dass Anfang und Ende sich nicht mehr direkt verständigen konnten.
Hedwigs Herz schlug schneller, je tiefer der Abgrund neben ihr wurde. Beflissen blickte sie geradeaus oder empor und versuchte, die Gedanken an all die Dinge zu verbannen, die nicht passieren durften. Kein Pferd durfte scheuen oder stolpern. Umkehren wäre ebenfalls umständlich und gefährlich gewesen. Sie war heilfroh, dass ihr trittsicherer und nervenstarker Tiuvel sich inzwischen gut mit den Handpferden abgefunden hatte, die ihm auf den Hufen folgten. Dennoch überlegte sie nach einer Weile, ob es nicht klüger wäre, wenn sie zu Fuß gingen, um nicht mit hinabgerissen zu werden, falls ein Pferd stürzte. Sie hätte es vorgeschlagen, wenn Wilkin in Hörweite gewesen wäre, doch er ritt vorn, gleich hinter dem Polen. Hinter ihnen kam einer der Knechte mit zwei Handpferden und dann Irina mit einem. Hedwig hätte laut rufen müssen, damit Wilkin sie verstand, zumal die Klamm vom Rauschen des Wassers erfüllt war.
An diesem Getöse lag es auch, dass sie nicht gleich begriff, was wenig später vor ihr geschah. Sie sah, wie Irinas Pferd anhielt und abrupt rückwärtsging, sodass es mit dem Hinterteil in das Packpferd drängte. Dieses wiederum versuchte auszuweichen, geriet haarsträubend nah an den Abgrund und kam gleichzeitig Tiuvel zu nahe. Der Schwarze ließ sich glücklicherweise nicht rückwärtstreiben, sondern legte die Ohren an und streckte den Hals aus, um zu beißen, wovon Hedwig ihn gerade noch abhalten konnte.
Irina hatte inzwischen ihre gehorsame Stute zum Stehen
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