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Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Titel: Die Bogenschützin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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gebracht. Hedwig suchte nach dem Grund der Aufregung, sobald die unmittelbare Gefahr für Irina und sie abgewendet war. Zu ihrem maßlosen Entsetzen sah sie eine kleine Lawine aus Geröll und totem Gesträuch, Pferd und Mensch in die Tiefe rasen und im Wasser des Baches aufschlagen.
    Sie schrie Wilkins Namen, bevor sie es selbst bemerkte. Auf keinem der Pferde vor ihr konnte sie ihn entdecken.
    Irina blickte mit aufgerissenen Augen in die Tiefe, während ihr Pferd begann, unruhig zu werden. Sofort wieder im Bann der nahen Todesgefahr, kam Hedwig zurück auf das Naheliegende: » Absteigen! Irina! Absteigen!«
    Benommen blickte ihre Freundin sich zu ihr um, gehorchte aber und stieg wie sie selbst zur Bergseite hin vom Pferd. Hedwig wechselte einen Blick mit Hüx, der hinter ihr ritt, und auch die Knechte folgten daraufhin ihrem Beispiel.
    Sie band Tiuvel mit dem Zügel an einen verkrüppelten Strauch und befahl ihm scharf stehen zu bleiben. Dann presste sie sich zwischen Berghang und Pferden hindurch zu Irina, die sich mit geschlossenen Augen und leichenblassem Gesicht gegen den Fels schmiegte, ihre linke Hand krampfhaft um die Zügel ihrer Stute geschlossen.
    » Ich sehe nach, was passiert ist«, sagte Hedwig und schlüpfte an ihrer Freundin vorbei, die zur Antwort bloß leise stöhnte.
    Vor ihr standen weitere, zitternde Pferde, die wussten, dass sie weder vor noch zurück konnten, dann der Knecht, der aufmerksam nach vorn spähte, doch noch immer sah Hedwig Wilkin nicht. Die Angst um ihn trieb sie vorwärts. Ihre rechte Hand streckte sie unwillkürlich in Richtung des aufsteigenden Steilhanges aus. Endlich stieß sie auf Wilkin. Er hielt mit seiner rechten Hand Zweige eines kleinen Blaubeerstrauches umfasst. Hedwig erkannte darin ihr eigenes Bedürfnis nach Halt wieder, jeder Zweig war ihr recht, und sei er noch so ungeeignet.
    Einige Schritte vor Wilkin war ein zwanzig Schritt langer Teil des Weges abgerutscht und hatte ihren Führer mit seinem Pferd in die Tiefe gerissen. Angesichts der Tragödie und der nun sichtbaren Gefahr, die ihnen allen drohte, verflog ihr Glücksgefühl darüber, Wilkin zu sehen, sogleich wieder. Sie konnte nur noch daran denken, dass sie das feindselige Gebirge so schnell wie möglich verlassen wollte. » Sollen wir umkehren, oder können wir weiter voran?«, fragte sie.
    Ihr Gatte blickte sie über die Schulter an, und sie erschrak. Seine Augen glänzten hochfiebrig, und er zitterte beinah so wie die erschrockenen Pferde. » Es ist gerade noch breit genug, um weiterzugehen. Wenn ich nur wüsste, wie der Rest des Weges aussieht.«
    Hedwig trat einen Schritt vor und betrachtete jede Elle der frischen Abbruchkante. Der Pfad war durch das Unglück zwar schmaler geworden, aber sie hatten bereits einige noch engere Stellen passiert. Außerdem fand Hedwig es unerträglich, daran zu denken, was es bedeuten würde umzukehren: die Pferde zu wenden, die schwierige Strecke noch einmal bewältigen zu müssen und dann dennoch keine Hoffnung auf eine Unterkunft zu haben, ja, nicht einmal sicher den Weg zu wissen, den sie einschlagen mussten, um überhaupt ein Ziel zu erreichen. Schlimm war andererseits auch die Vorstellung, sich an der Absturzstelle vorbeizuwagen und hinter der nächsten Kurve feststellen zu müssen, dass der Pfad nicht weiterführte. » Ich gehe nachsehen«, sagte sie und war schon an Wilkin vorüber und am Beginn des Abbruchs, ehe sie viel darüber nachdenken konnte, was sie tat.
    » Hedwig!« Wilkin klang entsetzt.
    Sie winkte ihm beschwichtigend zu, ohne sich zu ihm umzudrehen. » Keine Sorge. Ich bin leicht. Es wird nichts geschehen.« Sie blickte geradeaus, ging zügig und wiederholte den Satz stumm für sich. Es wird nichts geschehen. Es ist nicht anders, als auf einem schmalen Pfad durch die moorigen Stellen im Zootzener Wald zu gehen. Du würdest niemals hinunterfallen.
    Dennoch blieb ihr rechter Arm ausgestreckt, als bestünde ihr Körper darauf, sein Gewicht vorsorglich ein wenig zur gefahrlosen Seite zu verlagern. Obwohl sie nicht den Boden vor ihren Füßen betrachtete, nahm sie den Zustand des Pfades wahr. Sie konnte keine Risse oder frischen Verschiebungen entdecken, es bestand also Hoffnung, dass der Absturz alles mit sich genommen hatte, was brüchig gewesen war. Hinter ihr sagte Wilkin etwas, das sie nicht verstand, doch sie wollte sich nicht umdrehen.
    Erst als sie den unbeschädigten Teil des Pfades erreicht hatte, blickte sie zurück. Angespannt stand Wilkin da und

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