Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
reiten lassen und ihr Pferd führen. Der Schwarze wird allein gehen und die beiden Handpferde mitbringen, wenn ich ihn von vorne rufe. An die anderen anbinden will ich ihn lieber nicht.«
Hüx nickte zuversichtlich. » Wenn er nicht geht, helfe ich von hinten nach. Aber er wird. Kennt ja seine Herrin.«
Hedwig lächelte ihm dankbar zu, und wenig später hatte sie mit gutem Zureden Irina auf ihre Stute geholfen, wo sie mit geschlossenen Augen kauerte und sich festklammerte, als säße sie zum ersten Mal auf einem Pferd. Hedwig selbst fühlte sich zu Fuß nun weit wohler als bei dem Ritt bergan. Aus dem neuen Blickwinkel fiel es ihr leichter, nicht nach unten in die Klamm zu sehen, und sie empfand es als weniger beängstigend, sich auf ihre eigenen Beine zu verlassen als auf die eines Pferdes, und sei es auch so trittsicher wie Tiuvel. Der Schwarze folgte tatsächlich auch ohne Führung brav und unerschütterlich.
Die Länge der verbleibenden Strecke ins Tal hatte sie richtig geschätzt. Es dunkelte, als sie den Berg hinter sich ließen, und ihnen blieb gerade noch Zeit, ihr Lager am nächsten halbwegs geeigneten Ort aufzuschlagen.
Bei aller Erschöpfung fühlte sich Hedwig geradezu rauschhaft munter, während es den meisten ihrer Begleiter sichtlich schwerfiel, sich noch auf den Beinen zu halten und sich auch nur um das Nötigste zu kümmern. Sie sorgte dafür, dass jeder vor der Nacht wenigstens noch ein Stück hartes Brot, Käse und Schinken bekam. Dann ging sie Hüx zur Hand, der sich nach ihr am wackersten hielt, und band mit ihm die Pferde dort an, wo sie ein wenig Futter finden konnten.
Als sie zurück ans Feuer kam, lag Irina bereits schlafend daneben. Wilkin saß noch, zitterte, hustete und kämpfte darum, die Augen offen zu halten.
Nach kurzem Zögern setzte sie sich zu ihm und berührte ihn vorsichtig. » Leg dich doch nieder wie die anderen. Ich werde ohnehin nicht schlafen können. Da kann ich doch die erste Wache übernehmen. Ich wecke dann Hüx. Ihm geht es auch nicht so…«
Unwillig schüttelte er ihre Hand ab. » Mir geht es gut genug. Du wirst schon schlafen können, wenn du dich hinlegst.«
Er war so heiser, dass er seine Stimme bald ganz verlieren würde, und in Hedwig siegte die Sorge um ihn über den Ärger. » Vielleicht könnte ich schlafen, wenn du mir verzeihen und dich zu mir legen würdest. Sei mir nicht gram, Wilkin.«
Nun sah er ihr in die Augen und forschte darin nach, ob sie es ehrlich meinte. Sie gab sich Mühe, ihren Stolz so weit niederzukämpfen, dass er nichts anderes in ihrem Gesicht lesen konnte als Zuneigung und Bedauern über ihren Streit.
Endlich nickte er. » Hüx soll die erste Wache übernehmen und mich dann wecken.«
Erleichtert küsste sie ihn und ging zu Hüx, um ihm diesen Befehl mit einer winzigen Abwandlung zu übermitteln.
Als er einige Stunden später zu ihnen kam, um den Wachtposten abzugeben, musste er Hedwig nicht aus dem Schlaf reißen, weil ihre innere Uhr und die Aufregung des Tages sie bereits wieder geweckt hatten. Behutsam befreite sie sich aus Wilkins Umarmung und übernahm für die letzten Nachtstunden die Wache. Es war das erste Mal, dass sie dies tat, seit sie mit Wilkin unterwegs war. Ihm wäre es nie in den Sinn gekommen, sie oder ein anderes Weib damit zu belasten. Sie setzte sich mit ihrem Bogen auf einen Felsen, von dem aus sie sowohl die Schlafenden als auch die Pferde überblicken konnte, zog ihr wollenes Halstuch enger zu und die pelzgefütterte Kapuze über die Ohren. Die dunstige Wolkendecke, von der sie in den vorhergegangenen Tagen ständig umgeben gewesen waren, hatte sich etwas gelichtet und ließ schwaches Mondlicht ins Tal sickern.
Hedwig blickte schaudernd den Lauf des Baches hinauf in die Klamm. Sie hatten bisher kein Wort über ihren toten polnischen Führer gesprochen, der dort, nicht allzu weit entfernt von ihnen, mit seinem Pferd halb im Wasser lag. Es gab keine Möglichkeit für sie, seinen Körper zu bergen. Der Bach mit seinen zahllosen Fällen war nicht schiffbar, und einen Weg entlang des Ufers gab es nicht. So unschön die Erkenntnis war, dass der Mann kein christliches Begräbnis erhalten würde, bevor die Strömung seine Überreste aus der Klamm heraustrug, beschäftigte Hedwig dennoch mehr, was sein Tod für den Verlauf des kommenden Tages bedeutete. Sie hoffte von Herzen, dass sie das Dorf auch ohne Führer finden würden. Jede weitere Stunde in der Kälte war für die Kranken eine Stunde zu viel.
Die
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