Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
gruben. Wenn Wilkin tatsächlich des Mordes schuldig gesprochen wurde, würde sie aufstehen und die Wahrheit sagen, denn mit dieser Strafe für ihre gemeinsame Lüge würde sie nicht weiterleben wollen.
Doch gleich nachdem Hans von Torgau zu Ende gesprochen hatte, trat Helmwart vor die Berater des Königs. Er stellte sich als Mann vor, der dem König schon oft geholfen hätte, die Wahrheit herauszufinden, da er dazu reichlich Hilfsmittel besäße. Er habe die Sache gründlich betrachtet und könne mit Sicherheit sagen, dass Ludwig von Torgaus Tod ein Unfall gewesen sei.
» Der Herr Wilkin hat aus Pietät verschwiegen, dass sein Bruder Ludwig dabei war, sich an der jungen Amme seiner Ziehtochter zu vergehen, als er nach kurzer Abwesenheit in das Lager zu den schutzlosen Frauen zurückkehrte. Wilkin erkannte ihn nicht gleich, da er ihn nicht zu sehen erwartet hatte. Er hielt ihn für einen Wegelagerer, legte auf ihn an und löste den Pfeil ein wenig verfrüht. Dass dies die Wahrheit ist, haben alle meine Hilfsmittel bewiesen; auch mein Helm, der durch die Reliquien des Heiligen Martin geweiht ist und stets schwarz anläuft, wenn ihn der Atem der Lüge streift. Er ist blank wie ein Spiegel geblieben.«
Hedwig dachte daran, wie Juli mit dem Finger auf dem Helm herumgefahren war. Von » blank wie ein Spiegel« konnte danach nicht mehr die Rede gewesen sein. Die Zuhörer aber überzeugte Helmwart mehr, als Hans von Torgau es getan hatte, das war im Saal zu spüren. Und Sigismund schien nicht mehr als das Wort seines Wahrheitsfinders zu benötigen.
» So ist es denn, wie ich schon einmal bemerkte, Herr von Torgau: Der Tod Eures Jüngsten war kein Mord. Wenn ich ihn auch nach dem, was ich gerade hörte, nicht mehr für einen rein unglücklichen Zufall halte. Wilkin, du bist von dem Vorwurf freigesprochen. Fahren wir fort.«
Hedwig beobachtete, wie Hans von Torgau bleich wurde und die Zähne zusammenbiss. So leichthin abgeschmettert zu werden, hatte ihn sichtlich überraschend getroffen. Sie dankte innerlich Helmwart für seine wohlwollende Fürsprache und suchte ihn in der Menge, die dem Thron zunächst stand.
Entweder hatte er darauf gewartet, dass sie ihn ansah, oder er hatte sie die ganze Zeit über im Blick behalten. Er sah ihr in die Augen, als würde er sie bis in den tiefsten Grund ihrer Seele durchschauen.
Auf einmal ahnte sie, dass er vielleicht noch viel besser darin war, die Wahrheit aufzuspüren, als sie geglaubt hatte. Der Gedanke, wie sehr sie ihm deshalb ausgeliefert sein könnte, ängstigte sie. Ihre Miene schien es ihm zu verraten, denn er lächelte und schüttelte sanft und gutmütig den Kopf, als wolle er ihr versichern, dass sie nichts von ihm zu befürchten habe.
Erleichtert sah sie zu Boden, weniger, um ihre Gefühle vor ihm zu verbergen, als vor den anderen, die sie in diesem Moment vielleicht beobachteten.
Sie erwartete, dass als nächster Gerhardt von Schwarzburg sprechen und erneut ihre Brüder anklagen würde, doch zu ihrer Überraschung war es Köne, der sich, von ihr und Wilkin unbemerkt, ebenfalls im Saal befunden hatte. Ehrerbietig begrüßte er den König.
Obwohl er saubere Kleidung trug und sogar gekämmt zu sein schien, wirkte er im Vergleich zu den meisten Anwesenden noch immer verwildert und in der Pracht des Thronsaals fehl am Platze. Seine gewaltige Statur war dennoch eindrucksvoll und rief in Hedwig die Erinnerung an ihren einst mächtigen Vater wach.
Unwillkürlich sah Hedwig zu Hans von Torgau und Gerhardt von Schwarzburg hinüber, die Könes Erscheinung verächtlich, aber auch mit Genugtuung zur Kenntnis nahmen. Der Ausdruck der beiden änderte sich schlagartig, als Köne seinen ersten Satz ausgesprochen hatte.
» Ich bin heute hier, um den hinterhältigen Mord an meinem Bruder Dieter von Quitzow gesühnt zu sehen. Einen Monat lang bin ich geritten, weil man mich warnte, dass in Pressburg Männer Intrigen spinnen, die meinem Namen schaden könnten. Gott helfe mir, ich bin zu spät gekommen, um meinen noch jungen Bruder davor zu schützen, in das Netz der Lügner und Mörder zu geraten, und muss nun seinen Tod betrauern. Eure Majestät, ich klage Gerhardt von Schwarzburg des Mordes an.«
Aufgeregt begannen die Anwesenden zu murmeln, von einem Fuß auf den anderen zu treten und sich zu recken, um vielleicht noch eine bessere Sicht auf das Geschehen zu ergattern.
Gerhardt von Schwarzburg stieß die Umstehenden beiseite, um zu Köne zu gelangen und sich ihm
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