Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
führte. Der Waldrand war licht, wo das Vieh, vor allem die Schweine, gehütet wurden, von denen gerade eine Herde hineingetrieben wurde. Doch je weiter sie sich von der Stadt und ihrem besiedelten Umland entfernten, desto dichter und wilder würde der Wald sein. Sosehr Hedwig ihn sonst liebte, so sehr scheute sie ihn an diesem Tag.
Eine Stunde verging noch, dann hatten sie den tiefen Wald erreicht, und sie wünschte von Herzen, den Weg verlassen zu können, um sich nicht länger wie eine wandelnde Zielscheibe zu fühlen für diejenigen, die hinter Bäumen und Büschen versteckt lauern mochten.
Julis Hund wurde müde, und sie setzte ihn zurück in seinen Korb. Angespannt lauschte sie in die verdächtige Stille des Waldes hinein. Sogar die Waffenknechte waren ausnahmsweise still und blickten sich um, so als sei ihnen dieser Wald unheimlicher als die früher durchquerten.
Tiuvel scheute, als Hedwig wieder aufstieg, und sie folgte wachsam seinem Blick. Zwei huschende Schatten weit weg im Unterholz ließen sie zu ihrem Bogen greifen, doch für Menschen waren sie zu klein. Leise und gleichmäßig, wie sie sich bewegten, konnten es Wölfe sein oder wieder einmal freilaufende Hunde.
» Wölfe«, sagte einer der Männer laut und voller Abscheu.
» Weiter. Über Wölfe müssen wir uns keine Gedanken machen«, sagte Hedwig.
» Ungeziefer«, erwiderte der Mann. » Ausrotten muss man die Biester.«
Hedwig zuckte mit den Schultern und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die schattigen Verstecke, die das Gehölz ringsum bot. Sie hatten noch ein gutes Stück zurückgelegt, als sie auf einen Baum stießen, der quer auf dem Weg lag und sie aufhielt.
Mit angehaltenem Atem legte Hedwig einen Pfeil auf ihren Bogen. Sie hatte sich jede Möglichkeit ausgemalt, wie sie Reisenden in diesem Wald eine Falle stellen würde, und ein umgestürzter Baum auf dem Weg gehörte zu den ersten Möglichkeiten, die ihr eingefallen waren.
» Ich muss mal«, sagte Juli.
» Nicht jetzt«, erwiderte Hedwig.
» Warum denn nicht, wo wir ohnehin schon angehalten haben?«, sagte Ritter Heinrich. » Ich würde auch gern einen dieser Bäume wässern, wenn Ihr erlaubt.«
» Ich erlaube nicht«, entgegnete Hedwig scharf. » Der versperrte Weg kann eine Falle sein.«
» Oder ein Ergebnis des jüngsten Sturms«, gab er zurück. » Ihr seht immerfort Geister. Wollt Ihr, dass Eure Kleine gleich mit einem nassen Röckchen im Sattel sitzen muss?«
» Wir reiten weiter und umgehen den Baum«, befahl Hedwig.
» Nachdem wir uns erleichtert haben«, sagte Ritter Heinrich, stieg vom Pferd, dessen Zügel er einem der anderen Männer zum Halten gab, und hob dann auch Juli aus dem Sattel.
Hedwig brach der Schweiß aus. In alle Richtungen gleichzeitig sandte sie ihre Sinne aus, und jeder Laut, jede Schwingung des Waldes schien sie zu warnen, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte.
Juli kam vor dem Ritter aus dem lichten Unterholz zurück und wartete darauf, wieder in den Sattel gehoben zu werden. » Darf ich heute wieder die Zügel selber halten?«, fragte sie Hedwig.
» Noch nicht jetzt«, erwiderte Hedwig, ohne ihre Aufmerksamkeit von der Umgebung abzuwenden.
Der alte Ritter war noch damit beschäftigt, seinen Kettenschurz in dem Ausschnitt zurechtzuzerren, den der Brustpanzer seiner leichten Reiserüstung vorne ließ, als er zurück zu den Pferden kam und Juli hochhob. Er begann wieder mit seinem misstönenden Summen und widmete Hedwig keinen Blick, was ihre Gereiztheit noch steigerte.
Sie mussten in einer Reihe hintereinander reiten, um den liegenden Baumstamm zu umgehen. In der alten Ordnung ritten sie um die nächste Biegung, um festzustellen, dass ihnen dort abermals der Weg durch einen Haufen Gestrüpp versperrt war.
Hedwig begriff sofort, dass sie tatsächlich in die Falle gegangen waren, doch ehe sie handeln konnte, brachen die Angreifer bereits aus ihren grünen Verstecken hervor. Sie trugen leichte Rüstungen und Helme, die ihre Gesichter verbargen, und ihre Vorgehensweise ließ keinen Zweifel daran, dass sie auf Mord aus waren. Hedwig hatte keine Zeit, die Gegner zu zählen, doch sie schätzte, dass es zehn sein mussten. Ohne zu zögern, schoss sie den ersten Pfeil in die Kehle eines der Männer, die hinter dem Gestrüpphaufen gelauert hatten.
» Halt dich fest«, schrie sie Juli zu, bevor sie Tiuvel mit Irinas Stute im Gefolge auf die Lücke zutrieb, die der Fall des Erschossenen in den Ring der Angreifer gerissen hatte. Bevor sie
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