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Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Titel: Die Bogenschützin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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fürchten musste und wovor nicht. Alle Tiere, die hier lebten, hatte sie Juli so lebendig beschrieben, dass sie jedes davon erkannt hätte. Auch deshalb wusste Juli sogleich einen Namen für das große Tier, das mit schwankendem Gang aus dem Gebüsch kam, gegenüber der Richtung, in die Hedwig gegangen war.
    Witternd schwenkte der Bär seinen mächtigen braunen Schädel von rechts nach links und wieder von links nach rechts.
    Die Pferde begannen, wie verrückt vor Angst an ihren Stricken zu zerren, obwohl das Raubtier von ihnen noch weit entfernt war. Juli sah, wie bei den heftigen Bewegungen wieder Blut von Tiuvels Brust tropfte.
    Der Bär näherte sich gemächlich Julis Baum, und sie musste sich nicht an Hedwigs Worte erinnern, um so reglos und stumm zu bleiben, als wäre sie mit dem Eichenast verwachsen. Die Bärennase blähte sich, und ebenso blähten sich Julis Nasenflügel, als der strenge Raubtiergeruch zu ihr aufstieg. Der Bär hob den Kopf und witterte zu ihr empor, setzte sich auf die Hinterbeine und richtete sich ein wenig auf. Bären konnten gut klettern, hatte Hedwig gesagt. Juli hielt die Luft an und spürte, wie sie anfing zu zittern.
    Doch da senkte das bedrohliche Tier den Kopf wieder und wandte sich stattdessen den Pferden zu. So plötzlich, dass Juli zusammenzuckte, rannte er auf den mit seinem Strick kämpfenden Tiuvel los und schlug mit der Pranke nach ihm.
    Juli sah, dass er dem Hengst das Fell aufgerissen hatte, und sie wimmerte. Tiuvel allerdings schien dieser erneute Schmerz zu dem Teufel zu machen, nach dem er benannt war. Es gelang ihm endlich, sich loszureißen. Statt zu fliehen, ging er wie ein Drache auf den Bären los, warf sich herum und versetzte ihm mit den Hinterhufen einen so gewaltigen Schlag, dass er aufjaulte und ein wenig zur Seite hinkte. Tiuvel wiederholte die Attacke, brachte damit jedoch nun den Bären so in Bedrängnis, dass dieser seinerseits wieder angriff.
    Von nun an wurde der Kampf von beiden Tieren mit einem erbitterten, heftigen Wahnsinn, mit schrillen Lauten, Schnauben und Brüllen geführt. Juli saß mit aufgerissenen Augen und offenem Mund da. Sie sorgte sich um Hedwigs schwarzen Hengst, doch so wie jetzt hatte sie ihn nie zuvor erlebt, und hätte sie sagen sollen, vor welchem der beiden Tiere sie sich in diesem Augenblick mehr fürchtete, hätte sie es nicht beantworten können. Endlich traf Tiuvel den Bären mit einem Schlag des Hinterhufs am Kopf, und das Raubtier fiel um.
    Mit einem wimmernden Seufzer atmete Juli aus. Ihre Erleichterung hielt nur für einen Augenblick an. Tiuvel stöhnte, wie sie noch nie ein Pferd hatte stöhnen hören, brach erst vorne in die Knie und rollte dann auf die Seite.
    Unsicher wartete Juli noch eine Weile und behielt ängstlich den leblosen Bären im Auge. Dann siegte ihr Mitgefühl. Sie kletterte von ihrer Eiche, hinkte eilig zu Tiuvel hinüber und plapperte die tröstenden Worte, die Hedwig auch ihr sagte, wenn sie sich verletzt hatte. Er stöhnte wieder, doch dieses Mal klang es für sie, als sei er froh, dass sie da war.
    Vorsichtig umrundete sie ihn, kniete sich zu seinem Kopf und streichelte ihn zärtlich und beruhigend, während sie weiter mit ihm sprach wie mit einem kranken Kind. Sie tat es auch dann noch, als der schwarze Hengst aufgehört hatte zu atmen.

    Hedwig blieb der Aufschrei in der Kehle stecken, als sie die winzige Juli neben Tiuvels großem Leib halb in einer Blutlache hocken sah. Nur wenige Schritte von ihr spielte der Wind auf eine Art im Fell eines liegenden Bären, dass nicht sicher zu sagen war, ob dieser noch atmete.
    Mit gezogenem Messer stürzte Hedwig zu dem Raubtier, um festzustellen, dass sein Schädel zertrümmert war.
    Ihr Herz schmerzte, noch bevor sie an Julis Seite angekommen war und sich zu ihr gekniet hatte. Schweigend streichelte sie mit dem Kind zusammen ihren Rappen, der sie fast zehn Jahre lang begleitet hatte. Dass sie in seinem letzten Augenblick nicht bei ihm gewesen war, reute sie so sehr, als sei er ein Mensch gewesen, und sie fühlte sich schuldig, weil sie ihn angebunden allein gelassen und ihm nicht gegen den Bären beigestanden hatte.
    » Ich glaube, er hat mich beschützt«, sagte Juli nach langer Zeit mit leiser Stimme. » Der böse Bär hat so zu mir hochgesehen, als wollte er gleich zu mir heraufklettern.«
    Hedwig drückte Juli an sich und stand mit ihr auf. » Ja, meine Kleine. Mein Tiuvel war ein Held. Er hat mir immer geholfen, und nun auch dir. Wir müssen ihn

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