Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
hierlassen, aber wir wollen ihn im Gedächtnis behalten, ja?«
Juli schmiegte ihr Gesicht an Hedwigs Hals. » Wie Wilkin«, murmelte sie.
Hedwig erwiderte mühsam. » Ja. Wie Wilkin.«
Da die trächtige Schimmelstute nun zusätzlich mit den Sachen bepackt war, die zuvor Tiuvel getragen hatte, konnte Hedwig nicht mehr reiten. Dennoch legten sie am selben Tag noch ein gutes Stück Weg zurück, weil sie es nicht übers Herz brachte, in der Nähe ihres toten Pferdes zu lagern.
Ihr Zelt war mit den anderen Packpferden verloren gegangen, doch zwei Schafsfelle und warme Decken besaßen sie noch. An Hedwig gekuschelt wie üblich, mit ihrem Hund unter den Decken, schlief Juli erschöpft ein, während Hedwig kein Auge zutat, in die Flammen ihres kleinen Feuers starrte und gelegentlich eine Hand unter der Decke hervorstreckte, um das Feuer mit dem Holz zu füttern, das sie dazu bereitgelegt hatte.
In der Ferne heulten Wölfe, irgendwo brach ein leichtfüßiges Tier durchs Gesträuch, Eulen und Käuzchen ließen ihre schaurigen, doch vertrauten Rufe hören. Erst nun, da sie mit Juli allein war, kehrte ihr altes Gefühl für den Wald zurück: Vorsicht, aber keine Angst– Respekt, doch auch Geborgenheit. Sie wusste, dass der Bär nicht böse gewesen war, so wenig wie die Wölfe es waren, und dass es wahrscheinlich keinen zweiten in der Nähe gab. Zu viele Jahre hatte sie mit diesen Raubtieren in unmittelbarer Nachbarschaft gelebt, um sie jetzt zu verteufeln. Wenn sie sich den Anblick der toten Männer im Schmutz des Weges in Erinnerung rief, empfand sie es als weit größeres Wagnis, unter Menschen zu leben.
Als der Sonnenaufgang sich mit einem kalten Hauch ankündigte, legte Hedwig schließlich das letzte Holz aufs Feuer und schloss doch noch die Augen.
Drîbeins welpenhaftes » Wuff« weckte sie. Von dem jungen Hund war nur der Kopf mit umgeklappten Ohren zu sehen, den er unter den Decken hervorgeschoben hatte, um etwas zu beäugen, das offenbar sein Misstrauen erregte. Hedwig wandte nicht den Kopf, um herauszufinden, was es war. Mit einer geschmeidigen Bewegung griff sie nach ihrem Bogen und einem Pfeil, sprang auf und richtete den Bogen dahin, wohin Drîbein geblickt hatte. Ein gerüsteter, behelmter Mann ließ sein Schwert fallen, riss die Hände hoch und erstarrte. Weil er seltsam stumm dabei blieb, ließ Hedwigs Instinkt sie herumfahren. Ein Bogenschütze legte dort im Schutz der Bäume eben auf sie an. Sie rief die ganze Kraft ihres eigenen Bogens an, und ihr Pfeil durchdrang das Kettenhemd ihres Gegners, wo Hemd und Halsschutz zusammenstießen.
» Tölpel«, stieß der andere wütend hervor. Noch ehe der von ihr getroffene Bogenschütze fiel, hatte Hedwig sich gebückt, einen zweiten Pfeil aufgehoben und aufgelegt. Doch der andere hatte ebenso schnell gehandelt und war vorgesprungen. Während Hedwig einen Schritt zurück machte und sich drehte, um auf ihn anlegen zu können, warf er ein Messer auf sie, dem sie nicht ganz ausweichen konnte. Es traf sie in die linke Brust und blieb stecken. Sie hörte sich schreien und fühlte gleichzeitig eine unbändige Wut in sich aufflammen. Etwas zu unbedacht löste sie den Pfeil, der am eisernen Schulterstück ihres Angreifers abglitt, ohne Schaden anzurichten. In rasender Hast holte sie sich den nächsten Pfeil und zielte erneut auf den Ritter, der sein Schwert wieder an sich genommen hatte und nun damit auf sie zukam. Juli war mittlerweile wach und umklammerte zusammengekauert ihren knurrenden kleinen Hund, gerade zu Hedwigs Füßen zwischen ihr und ihrem Gegner.
Hedwig beschwor abermals ihren Bogen, doch als wäre der Teufel im Spiel, prallte ihr Pfeil wieder an der Rüstung ab. Und dieses Mal bleib ihr keine Zeit, einen weiteren aufzuheben. Sie verharrte in ihrer Bewegung, als der Mann vor Juli stehen blieb, das Schwert zum Zustoßen erhoben.
Aus dieser Nähe erkannte Hedwig Hans von Torgau mit Leichtigkeit. Der eiserne Spitzbauch seines Brustpanzers barg seine Wampe, und sein Schwert hatte sie oft genug gesehen.
Zeit gewinnen, dachte sie und presste die freie Hand auf die schmerzende Wunde in ihrer Brust. » Sie ist die Tochter Eures Sohnes Ludwig«, sprudelte sie hervor. » Bedenkt das, wenn Ihr die Hand gegen sie erhebt. Mit ihr würdet Ihr jemanden töten, der wirklich von Eurem Blut ist.«
» Ein hinkendes Mädchen.« Er spuckte die Worte förmlich aus. » Warum sollte mich das von etwas abhalten? Aber meinetwegen darf sie auch allein hier im Wald krepieren. So
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