Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
kurfürstlichen Paar die Sebalduskirche. Hans von Torgau stand weit vorn und drehte sich zu ihnen um. Er wirkte erleichtert, als er sie entdeckte. Sie verwechselte es nicht mit Freude. Wahrscheinlich hatte er geglaubt, sie wäre geflohen, was sie zweifellos getan hätte, wenn der Kurfürst nicht auf ihre Bitte eingegangen wäre.
Sie konnte noch nicht glauben, dass sie tatsächlich Erfolg gehabt hatte. Der Triumph mischte sich mit ihrer Trauer zu einem festen Klumpen, der in ihrer Kehle saß und ihr beinahe die Luft abdrückte.
Das Gespräch mit Hans von Torgau führte der Kurfürst Stunden später in ihrer Gegenwart. Schweigend hörte sie zu, wie Friedrich sich zum zukünftigen Paten ihres Kindes erklärte und Hans von Torgau mit deutlichen Worten von seiner Pflicht entband, für seinen Enkel und dessen Mutter zu sorgen.
Höflich verbeugte von Torgau sich daraufhin und dankte in Hedwigs Namen und dem seines Sohnes, was Hedwig beinahe doch noch dazu gebracht hätte, ihn mit einer beißenden Bemerkung zu bedenken.
Früh am nächsten Morgen verabschiedete sie sich in den Räumen, die Juli und sie nachts mit dem kleinen kurfürstlichen Gefolge geteilt hatten, von der weinenden Kurfürstin und Kurfürst Friedrich. Er schien peinlich berührt, ob wegen der Trauer um Wilkin, die sie alle so unterschiedlich handhabten, oder weil er die Zugeständnisse, die er ihr gemacht hatte, im Nachhinein nicht fassen konnte, vermochte sie nicht zu deuten.
Sie selbst hatte seit der Rückkehr nach Nürnberg fast alle Geschehnisse und Menschen nur wie durch einen dämpfenden Nebel wahrgenommen. Erst als sie die Stadt mit ihren Begleitern verlassen hatte, Gewirr, Lärm und Enge zurückblieben und sie frische Herbstluft atmete, kam sie zu sich. Auch der Schmerz ihrer Trauer wurde schärfer, während sie ihre Umgebung klarer sah und ihre Gedanken ordnete. Dennoch fühlte sie sich besser. Sie hatte ein Ziel.
Arglos war sie nicht. Hans von Torgau war ihr nach dem Gespräch mit dem Kurfürsten nicht mehr begegnet, doch sie bezweifelte, dass sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Schützend drückte sie Juli ein wenig fester an sich. Die Kleine kuschelte sich an sie.
Der weißhaarige Ritter, den man ihr als Heinrich von Eckstein vorgestellt hatte, ritt neben ihr, die vier Waffenknechte paarweise vor und hinter ihnen, während ein Pferdeknecht am Ende des Zuges Irinas Stute und zwei weitere Packpferde führte. Ritter Heinrich hatte sich erboten, als Gegenleistung für eine Versorgung im Alter der Form halber ihr Lehnsträger zu sein, den sie als nicht waffenfähige Frau brauchte, um ein Lehen halten zu können.
Über ihre Vereinbarung hinaus hatte er noch kein Wort an sie gerichtet. Nun begann er mit tiefer Stimme zu summen, so unmelodiös, dass Hedwig nur mit Mühe ein Lied Oswald von Wolkensteins darin erkannte.
Neugierig sah Juli zu dem alten Mann hinüber. » Was ist das?«, flüsterte sie Hedwig zu.
» Ein heiteres Antlitz, rot und weiß. Von dem einäugigen Dichter Oswald.«
» Aber das geht anders«, widersprach Juli und begann hoch und klar die Melodie des Liedes zu trällern, ohne die Worte zu kennen. Ritter Heinrich hörte auf zu summen und blickte nun seinerseits zu ihnen herüber. » Eine kleine Lerche, ja? Sehr schön, sehr schön. Dann singt mal weiter, edle Jungfer, und verkürzt uns die Zeit. Es ist ja ein langer Weg zu Eurem neuen Heim.«
Juli brach das Lied ab. » Ich bin gar keine edle Jungfer. Ich bin nur ein Glückskind. Das hat Mara immer gesagt. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.«
» Nun, es erscheint mir, als hättest du ein glückliches Plätzchen, da im Sattel vor der edlen Frau. Es wird also wohl stimmen. Und nun mach einem alten Mann eine Freude und sing.«
Juli schmiegte sich wieder an Hedwig an. » Wilkin mochte es auch gern, wenn ich singe«, sagte sie traurig.
Hedwig küsste ihr Haar und drückte sie tröstend, während ihr selbst die Tränen kamen. Sie alle schwiegen einen Moment, dann räusperte sich Ritter Heinrich.
» Eine Stimme, die so hell und fein ist, dringt ganz gewiss bis ins Himmelreich. Und da Wilkin von Torgau als ehrenwerter Mann, der er war, schon dort sein muss, wird er dich auch dort oben hören können.«
Hedwig warf ihm einen Blick zu, doch er sah gelassen geradeaus.
Nur einen Atemzug später begann Juli zu singen– so inbrünstig wie nie zuvor.
Hedwig hatte Nürnberg Wilkin zu Ehren in der Kleidung einer trauernden Edelfrau verlassen, die sie am Tage der Beisetzung
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