Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
davonkommen konnte, warf sich ihnen ein anderer ihrer Gegner mit erhobenem Schwert entgegen.
Hedwig griff in rasender Hast nach einem zweiten Pfeil und schoss, konnte Tiuvel dabei jedoch nicht mehr lenken. Er rannte den Mann nieder, den sie mit ihrem Schuss verfehlt hatte, wurde allerdings von dessen Schwert gestreift und fiel vor Schreck und Schmerz in seine schlechtesten Manieren zurück. Mit angelegten Ohren ging er durch, fand einen Weg an dem Haufen Gestrüpp vorbei und ließ Hedwig nur übrig, sich festzuklammern und außerdem Irinas Stute mitzuziehen. Juli kreischte kurz auf, als der rasende Ritt begann, schwieg dann aber und hielt sich im Sattel.
Hedwig ließ ihren Schwarzen laufen, bis er wieder zu sich kam, dann hielt sie ihn ein wenig zurück und sah sich nach Verfolgern um. Als sie niemanden entdeckte, lenkte sie die Pferde eilig vom Weg ab und ein gutes Stück zwischen den Bäumen hindurch in den dichteren Wald, um außer Sicht zu gelangen. Besorgt wandte sie sich Juli zu, die sie mit großen Augen ansah und sich an ihrem Sattelriemen festhielt.
» Das hast du gut gemacht, meine Kleine. Ist alles in Ordnung?«
Juli atmete so heftig, als wäre sie selbst gelaufen. » Das war sehr schnell«, sagte sie. » So schnell sind wir noch nie geritten. Oh! Tiuvel blutet.«
» Ja. Juli, hör mir zu: Die Männer, die da aus den Büschen gekommen sind, sind böse. Sie dürfen uns nicht finden. Aber ich muss zurückschleichen und herausfinden, wie der Kampf ausgegangen ist. Wir werden dich hier verstecken, und du darfst dich nicht rühren, bis ich wiederkomme. So wie beim Spielen, verstehst du?«
Juli nickte mit verkniffenen Lippen, was zeigte, wie wenig ihr der Gedanke behagte. Hedwig hatte die Pferde weiter vorangetrieben, bis sie einen Baum entdeckt hatte, der ihr für ihren Zweck geeignet erschien. Es war eine alte Eiche, die noch ihr volles Laub trug und ein zum Klettern wunderbar geeignetes Geäst besaß.
Rasch hob sie Juli empor und befahl ihr, nach oben zu steigen, bis nichts mehr von ihr zu sehen war, und dort zu warten. Die Pferde band sie in einiger Entfernung an anderen Bäumen an. Der Schnitt an Tiuvels Hals blutete zwar, schien aber ungefährlich zu sein. Sie ließ ihren Mantel zurück, schürzte ihren Rock und lief mit ihrem Bogen in der Hand abseits des Weges auf den Ort zu, wo der Überfall geschehen war. Je näher sie der Stelle ihrer Einschätzung nach kam, desto vorsichtiger bewegte sie sich von Deckung zu Deckung. Sie nahm sich Zeit zu lauschen und schloss aus der Stille, dass der Kampf vorüber sein musste. Behutsam pirschte sie sich weiter an, bis sie die Wegstrecke sehen konnte.
Etliche Tote waren auf dem Erdboden zurückgeblieben, sonst niemand, nicht einmal die Pferde.
Hedwig betrat den Schauplatz des Überfalls nur zögernd und mit klopfendem Herzen, doch sie musste sich Gewissheit über die reglosen Männer verschaffen. Schnell erkannte sie, dass unter den zehn blutigen Leibern die vier Waffenknechte und der Pferdeknecht aus ihrer Begleitung waren. Ritter Heinrich jedoch fehlte.
Den fünf anderen Toten musste sie mit unterdrücktem Widerwillen die Helme abnehmen, um ihre Gesichter betrachten zu können. Einer von ihnen war der Mann mit dem Muttermal an der Schläfe, den sie in Wittenberg gesehen hatte. Hans von Torgau war nicht dabei. Da Hedwig mehr Angreifer wahrgenommen hatte als fünf, wollte sie sich nicht länger aufhalten. Rasch nahm sie von zweien der fremden Toten eine Halskette und einen Dolch an sich, auf denen Wappen abgebildet waren, die einen Hinweis auf die Herkunft ihrer Besitzer geben konnten.
Im Vorübergehen fiel ihr Blick auf ihren fehlgegangenen Pfeil, der sich im Gesträuch der von Menschenhand aufgehäuften Wegsperre verfangen hatte. Aus alter Gewohnheit stieg sie zwischen die Zweige, um ihn zu bergen.
Juli war anfangs auf ihrem Baum noch so verdutzt und atemlos von dem großen Schrecken ihrer wilden Flucht, dass ihr gar nicht einfiel, Angst zu haben. Sie war völlig damit beschäftigt, mit einer Hand die brennenden Schrammen an ihren Schienbeinen zu untersuchen, die sie sich beim hastigen Klettern mit geschürztem Rock zugezogen hatte.
Erst als sie sich etwas beruhigte und einen gemütlichen Platz in einer Astgabel gefunden hatte, von wo sie hinabspähen konnte, wurde ihr klar, dass sie zum ersten Mal ganz allein in einem echten, ungezähmten Wald war. Hedwig hatte ihr erzählt, wie sie als Kind im Wald gelebt und gelernt hatte, wovor man sich dort
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