Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
Augenblick nur, dass Hüx nicht gerade von ihr als der Jungfer träumte, die ihn küssen würde.
Ihre Unaufmerksamkeit rächte sich sofort. Von außerhalb der Burgmauern erklang fernes Wiehern, der Schwarze blieb stocksteif stehen, reckte den Hals, stellte die Ohren auf, dann schüttelte er den Kopf, sodass ihm die Zügel in den Nacken rutschten, und trabte an. Hedwig versuchte, ihn mit ihrem Gewicht zum Halten zu bringen, und tatsächlich wurde er langsamer, doch dann bemerkte er, dass Hüx herbeilief, um Hedwig zu helfen, und trabte auf das offene Burgtor los. Sie hörte den Stallmeister hinter ihr Hüx anschreien, war aber damit beschäftigt, nach den Zügeln zu fischen, die durch die Bewegung wieder nähergerutscht waren. Als wüsste er, was sie vorhatte, schlug Tiuvel noch einmal mit dem Kopf, sodass die Zügel ihm für sie unerreichbar über eines seiner Ohren fielen, und galoppierte an. Wie Donnerhall klang es, als er durch das Tor und über die Brücke preschte, denselben Weg entlang wie bei ihrem letzten Ausflug. Bei allem Ärger musste Hedwig darüber lachen, wie dünn die Schicht der gelernten guten Sitten bei dem Hengst war. Froh darüber, dass sein Ungestüm sie mittlerweile nicht mehr aus dem Sattel warf, griff sie in seine Mähne und genoss den Ritt. Als er ein wenig müde zu werden schien, brachte sie ihn sogar ohne die Zügel dazu, vor dem Wald auf einer gemähten Wiese einen Bogen zu schlagen, der sie zurück zur Burg führen sollte.
Ihre Erleichterung darüber währte nur kurz. Wieder hörte der Hengst Artgenossen wiehern, dieses Mal aus dem Wald ganz in ihrer Nähe. Starr blieb er stehen, riss den Kopf hoch und erwiderte das Wiehern mit einem herausfordernden, schallenden Ruf. Hedwig reagierte blitzschnell, stemmte sich in den Bügeln hoch und erwischte die Zügel. Zu triumphieren hatte sie allerdings keinen Grund, denn in dem, was nun folgte, bewirkte sie auch mit den Zügeln wenig. Der Schwarze ging ihr erneut durch und raste auf eine Gruppe von Reitern zu, die soeben aus dem Wald erschien, angeführt von einem gerüsteten Ritter, der selbst einen mächtigen braunen Hengst ritt.
Hedwig benötigte all ihre Reitkunst, um im Sattel zu bleiben, als ihr Schwarzer kurz vor dem anderen Hengst bremste, stieg und dabei Laute ausstieß, die sie eher an einen brünftigen Hirsch erinnerten als an ein Pferd. Die naheliegende Vermutung, dass der bärtige Ritter auf dem Braunen ihr Onkel war, bestätigte sich, als sie aus der Nähe entdeckte, dass sein linkes Augenlid eingefallen war und geschlossen blieb. Nun wurde sie doch wütend auf Tiuvel. Seinetwegen würde sie auch diese Begegnung auf die schlechtestmögliche Art beginnen. Mit harter Hand riss sie ihn zur Seite herum und setzte ihr Gewicht ein, um ihn wieder auf seine vier Füße herunterzubringen. Er bockte, doch sie ließ sich nicht beirren, sondern kämpfte, um dieses Mal ihren Willen gegen seinen durchzusetzen.
Als er endlich ein Stück von der Reitergruppe entfernt auf der Wiese stillstand, keuchten sie beide. Betreten hob Hedwig den Kopf und stellte fest, dass die rund zwanzig Reiter auf dem Weg stillstanden und sie verblüfft anstarrten. Unwillkürlich richtete sie sich im Sattel auf und erwiderte die Blicke mit einem Nicken, von dem sie hoffte, dass es huldvoll wirkte.
» Alle Wetter. Und ich dachte, mich überrascht nichts mehr«, sagte der Ritter auf dem braunen Hengst.
Hedwig atmete tief durch. » Ich bitte um Vergebung. Das Ross und ich sind noch etwas ungeübt.«
» Nun, das kommt wohl, weil das Ross Eure Augen nicht sehen kann, während Ihr auf seinem Rücken sitzt. Sonst würde es Euch gewiss jeden Wunsch daraus ablesen. Was macht eine Jungfer wie Ihr so allein hier am…« Er unterbrach sich, zog seine Brauen zusammen und trieb sein Pferd näher an das von Hedwig. Sie spürte, wie sie errötete, als er sie nun erneut mit seinem verbliebenen Auge musterte, und sie wich seinem Blick aus.
» Sieh mich mal an«, befahl er.
Scheu gehorchte sie und sah ihm mit brennenden Wangen ins Gesicht, an dessen Züge sie sich nur schwach erinnerte. Doch bereits damals, als er gelegentlich mit ihrem Vater nach Friesack gekommen war, hatte er nur ein Auge gehabt, und sie erkannte die Art wieder, wie er deshalb seinen Kopf neigte.
Fassungslosigkeit zeichnete sich in seiner Miene ab, er öffnete den Mund, um zu sprechen, und schloss ihn wieder.
Gerade wollte Hedwig die peinliche Stille brechen, da fing er sich. » Hedwig?«, fragte er, so voller
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