Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
den meisten anderen Burgbewohnern, schlafen gingen, kam es Hedwig vor, als sei sie noch nie in ihrem ganzen Leben so froh gewesen.
Ihre Seligkeit währte, bis ihre Tante am nächsten Morgen ihr Gemach betrat und sie wachrüttelte. » Pfui! Ich habe gewusst, dass es so kommt und er alles zunichtemacht. Du hast die Messe versäumt. Lass dir gesagt sein, dass dein Onkel um sein Seelenheil schon genug bangen muss. Ich lasse nicht zu, dass ihr beide euch in eurem Irrweg bestärkt. Steh auf und tue in der Kapelle kniend Buße für deinen Hochmut und deine Versäumnis.«
Hedwig fühlte sich nicht, als müsse sie Buße tun, aber es tat ihr leid, dass sie verschlafen und Agnes damit Grund zu neuen Vorwürfen gegeben hatte. Sie war daher bereit, eine Stunde in der Kapelle zu verbringen, zumal sie Gott von Herzen für das Erscheinen ihres Onkels danken wollte.
Um ihre Tante zu beschwichtigen, legte sie eines der sittsamen Gewänder an, die diese bevorzugte. Sie überlegte sogar, ihren Bogen zurückzulassen, doch Irina wollte davon nichts wissen und trug ihn für sie.
Sie mussten die Halle durchqueren, um die Kapelle von dort aus durch eine Seitentür oder vom Hof aus zu erreichen. Johann von Quitzow saß bereits an der Tafel, um die sie auch am Abend gesessen hatten, und trank Bier. Agnes stand mit verschränkten Armen ihm gegenüber und sprach auf ihn ein, verstummte jedoch, als sie Hedwig und Irina bemerkte.
Johann lächelte und winkte sie zu sich. » Hedwig, mein Mädchen, komm her. Der Koch hat süße Kräpflein gebacken, für die es sich lohnen würde, jedes Fasten zu brechen. Ich habe mir Zwang angetan, um dir etwas übrig zu lassen. Außerdem haben wir nun ernsthaft zu reden, so will es deine Tante. Setz dich her, hier neben mich.«
» Das hat Zeit, bis sie ihre Gebete gesprochen hat«, fuhr Agnes dazwischen.
Johann seufzte kopfschüttelnd. » Der Herrgott hatte sie schon bald achtzehn Jahre lang für sich, Agnes. Ich habe sie erst seit gestern. Er wird es mir verzeihen, wenn sie wegen mir ein Stündchen später beten geht.«
Hedwigs Tante krampfte die Finger immer stärker um ihre Oberarme. » Es geht nicht immer nur um dich. Ich habe versucht, es dir zu erklären. Sie ist ein gottloses und zuchtloses Geschöpf. Allen guten Willen habe ich gezeigt, um zu handeln, als sei es nicht ihr Verschulden, und sie mit Milde auf den Weg der Tugend zu führen, den ich selbst in meiner Verblendung erst viel zu spät eingeschlagen habe. Kannst du nicht einsehen, dass es unsere Pflicht ist, sie nun streng zu erziehen und ihre Seele vor der Verdammnis zu retten, die uns droht? Und was ist mit ihrem Ansehen? Würde dein Bruder wollen, dass sie als eine von der Welt verachtete niedrige Metze und Wilde lebt?«
Hedwig wurde heiß vor Ärger über die Verachtung ihrer Tante, und sie holte Luft, um sich zu verteidigen, doch ihr Onkel schlug ihre Schlacht besser, als sie es gekonnt hätte.
Er schlug mit der Faust auf den Tisch. » Weib, du ärgerst mich. Ich habe dem Mädchen zugehört, und lass dir gesagt sein: Gerade ihre Zuchtlosigkeit lässt sie in ihrem Herzen sittsamer sein, als du es in ihrem Alter warst. Ihr Vater hätte vor allem gewünscht, dass sie ihrer Mutter ähnlich wird, und er hätte seine Freude an ihr gehabt. Eine Frau von hohem Geblüt darf Stolz und einen eigenen Willen besitzen. Und wenn sie es wünscht, einen Hengst zu reiten, dann hat darüber niemand zu urteilen, der geringeren Standes ist als sie. Und wenn sie Waffen tragen will, dann soll sie es tun. Manches Weib hat schon in einer Schlacht gekämpft, auch wenn ich das meiner Nichte nicht wünsche.«
Agnes ballte die Fäuste und beugte sich ein wenig über den Tisch und zu ihm herab. » Was für ein Heuchler du bist, Johann! Du weißt genau, was gerade Männer wie deine Kumpane von solchen Weibern halten. Kein einziger nähme eine solche zur Gattin. Was ist damit, hast du daran auch gedacht? Du bist alt und wirst sie bald allein lassen mit ihren stolzen, abstoßenden Eigenheiten. Was soll sie dann tun, wenn kein Mann sie will? Glaubst du etwa, ihr eigensüchtiger Bruder wird für sie sorgen? Du musst sie verheiraten, und ich schwöre dir, auf diese Weise wirst du keinen Gemahl für sie finden, der ihrem Geblüt nur annähernd gebührt.«
Empört stieß Hedwig die Luft aus. » Meine Mutter hat mich zehn Jahre lang erzogen, und danach hatte ich einen aufrechten und tugendhaften Lehrer. Ich bin nicht gottlos und nicht wild. Wenn du mich so siehst, Tante,
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