Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
böser Wolf wird mehr vor uns sicher sein.«
» Dann ist es abgemacht.«
Seit der Nachricht von Johanns baldiger Ankunft schien ihre Tante vorübergehend vergessen zu haben, dass Hedwig existierte. Hedwig tat ihr Möglichstes, sie nicht daran zu erinnern, beobachtete sie jedoch scharf. Voller Misstrauen war sie dazu übergegangen, wieder jederzeit ihre beiden Dolche und ihren Bogen bei sich zu tragen. Selbst bei den Mahlzeiten lehnten Bogen und Pfeiltasche in ihrer Nähe an der Wand.
Ihren Hund ließ sie nicht mehr aus den Augen, und mit ihrem Schwarzen, den sie nur noch liebevoll Tiuvel nannte, hätte sie es gern ebenso gemacht. Da sie jedoch davor zurückschreckte, in der Nähe der Knechte im Stall zu schlafen, schloss sie nur einen Pakt mit Hüx, der ihr hoch und heilig gelobte, sie sofort zu holen, wenn jemand dem Hengst ein Haar krümmen wollte.
Ihre Tante aber hatte offensichtlich andere Sorgen. Hedwig hätte erwartet, dass Agnes einen freudigen oder wenigstens würdigen Empfang für ihren Gatten vorbereiten würde, doch die Vorbereitungen gingen nicht über das Schlachten eines Rindes hinaus. Im Gegenteil schien Agnes von Stunde zu Stunde untätiger zu werden und sich tiefer in ihre Gebete zu versenken. Am sechsten Tage schließlich verschwand sie morgens in die Kapelle und zeigte sich nicht mehr.
Die Stimmung der restlichen Burgbewohner war dagegen lebhafter als sonst, wenn auch angespannt.
» Man würde sich freuen, dass Graf Johann kommt«, erklärte der Stallmeister Hedwig. » Aber mit seiner Laune wird es nicht zum Besten stehen, wenn er gerade eine Schlacht verloren hat und freigekauft werden musste.«
Hedwig ließ sich von ihm zeigen, wie Hüx auf dem Hof vor dem Stall ihren Tiuvel nur mit den Schenkeln lenkte und dabei die Arme bewegte, als hielte er Schwert und Lanze. Nur zwei Tage hatte der Junge gebraucht, dem Hengst diese Zeichen begreiflich zu machen. Er schwärmte davon, wie verständig das Tier sei.
Hedwig ergriff Neid auf Hüx, der zwei Jahre jünger war als sie und ihr doch weit voraus. » Ich möchte es auch versuchen.«
Der Stallmeister verneigte sich höflich gegen sie und nickte. » Wie Ihr wünscht. Aber nur hier auf dem Hof.«
Um mit ihrem alten Kleid nicht unnötig Aufsehen und Anstoß zu erregen, vor allem für den Fall, dass ihr Onkel eintraf, trug Hedwig inzwischen eines der schlichteren Kleider aus Meißen, welches ebenfalls weit genug war, um darin im Sattel sitzen zu können. Das Unterkleid war aus lindgrünem Leinen, der Bliaut darüber in dunklerem Grün gehalten und mit bescheidenen silbernen Stickereien abgesetzt. Statt der empfindlichen weißen Flügelhaube trug sie über ihrem fest aufgesteckten Haar ein grünes Netz mit einem weißen Schleier darüber, von dem sie hoffte, das es dem Anstand Genüge tat. Hohe, weiche Lederstiefel, deren Schäfte sie mit Nesteln an einem Hüftgurt unter ihrem Kleid befestigen konnte, hatte sie sich vom Stallmeister besorgen lassen, so wie auch einfache Sporen, von denen er meinte, sie würden ihr helfen. Eine einfache Bruch trug sie seit jeher als Unterzeug, wenn sie ritt, auch wenn sie sonst darauf verzichtete wie die meisten Frauen.
Hüx hielt den Rappen, während sie aufstieg, und führte sie die erste Runde auf dem Hof. Unter der Anleitung des Stallmeisters übte sie noch einmal die Hilfen. Sie war begeistert, wie gut es ging, als sie es schließlich allein versuchte. Die Zügel ruhten auf Tiuvels Hals, und dennoch brachte sie ihn dazu hinzugehen, wohin sie wollte, zu halten oder eine langsame Kehrtwende auszuführen.
Der Stallmeister beobachtete sie gemeinsam mit Hüx von der Mitte des Hofes aus. » Ihr lernt so schnell wie das Tier.«
Sie lachte und sah über die Schulter zu den Männern. » Was für ein großzügiges Lob.«
Hüx hatte sie mit großen Augen angestarrt und senkte nun eilig den Blick, wieder einmal kirschrot im Gesicht, seine Pickel noch leuchtender als der Rest. Hedwig hatte den Stallmeister gefragt, warum er den Jungen Hüx nannte, obwohl er Hinz hieß. Hüx bedeutete in seiner Mundart Kröte, was ihr sehr unfreundlich erschienen war. Doch der Stallmeister meinte, er hätte den Jungen einmal mit der Geschichte von der schönen Jungfer getröstet, die mit einem Kuss aus einer Kröte einen schönen Jüngling gemacht hatte. Deshalb war der Junge mit dem Spottnamen einverstanden, zumal es an die zehn Heinrichs oder Hinzens auf der Burg gab, die auseinandergehalten werden mussten. Hedwig hoffte in diesem
Weitere Kostenlose Bücher