Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
Hände mochten noch zittern, als sie sprach, doch ihre Stimme klang ungerührt. » Ich bin an diesen Ort gekommen, um meinem Onkel zu begegnen, nicht, um mich euch zu unterwerfen. Sei gewiss, dass ich einen Weg fände, mich zu rächen, wenn du etwas anrührtest, an dem mir liegt. Und sei es nur das Wohlergehen der Stallknechte. Meine Wildheit, die du so verachtest, verschafft mir gegen euch den Vorteil, dass ich weiß, wie man einem geifernden Wolf die Kehle durchschneidet. Ich wollte gern Frieden mit dir halten, aber einsperren lasse ich mich von niemandem.«
Ihre Tante war bleich und presste die Lippen so sehr zusammen, dass ihr Mund nur noch ein Spalt zu sein schien. » Dietrichs verfluchtes Blut. Gottloser Stolz. Dich werde ich lehren…«, stieß sie hervor.
Hedwig war in Gedanken bereits dabei, ihre Bündel zu schnüren und die Burg zu verlassen. Abermals war sie gescheitert, es gab keinen Grund zu bleiben. Selbst die Gefahren des langen Rückweges nach Zootzen, die Ungewissheit über ihr Ziel und der nahe Winter erschienen ihr weniger abschreckend als die Vorstellung zu bleiben.
Hätte ihre Tante weitergesprochen, wäre sie wohl gegangen, doch bevor es so weit kam, führte ein Dienstmann einen Boten zu ihnen herein. Er brachte die Nachricht, dass Johann von Quitzow nach einer verlorenen Schlacht gegen die Truppen der rebellierenden Städte Hamburg und Lübeck leicht verletzt nach Lauenburg geflohen war. Die Lauenburger jedoch hätten ihn ausgeliefert, weswegen er in Hamburg darauf hätte warten müssen, dass der Kurfürst ihn auslöste. Zu seinem Glück sei das Lösegeld früher als erwartet eingetroffen. Er befände sich so gut wie auf dem Heimweg. In wenigen Tagen könne man ihn erwarten.
Diese Neuigkeiten raubten Agnes die Sprache und ließen sie ihre unwürdige Nichte vergessen. Hedwig nutzte die Gelegenheit und entfloh der Kemenate.
Ihr Entschluss abzureisen kam ins Wanken. Nur noch wenige Tage, dann würde sie ihren Onkel kennenlernen können. Wahrscheinlich war er nicht freundlicher als die Verwandten, denen sie bisher begegnet war, doch dann hätte sie zumindest Richards Wunsch erfüllt und konnte sich guten Gewissens von ihrer Familie fernhalten.
In ihrem Gemach wartete Irina auf sie. » Wie ist es gegangen? Was hat sie gesagt?«
Hedwig gab ihr die Auseinandersetzung mit Agnes Wort für Wort wieder und berichtete auch von ihrem Plan, die Burg zu verlassen.
Irina schwieg lange, dann seufzte sie. » Und was wird aus mir? Ich kann nicht bis ans Ende unserer Tage mit dir im Wald leben, Hedwig. Hier werden sie mich ohne dich auch nicht behalten wollen. Wo soll ich hin? In Meißen hätte ich es aushalten können, aber mit von Schwarzburg und seinen Spießgesellen im Nacken…« Sie schauderte.
» Aber du kannst so wundervolle Dinge. Wird es nicht Spielleute geben, die dich aufnehmen wollen? Kennst du niemanden?«
» Doch. Nur müsste ich sie erst finden. Ich habe zwei ältere Schwestern, die mit den Fahrenden ziehen, aber seit Adam mich geheiratet hat, habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich blieb bei ihm in Magdeburg, und dahin kamen die anderen nie wieder. Sie haben nur Nachricht geschickt, als unsere Eltern starben.«
» Würdest du denn gern mit ihnen ziehen?«
Irina schüttelte den Kopf. » Hätte ich eine Wahl, würde ich es nicht. Ich war Adam dankbar, weil er etwas Besseres aus mir gemacht hat als eine Fahrende. Sein Vater ist ein Soldritter des Erzbischofs, kein Spielmann, wusstest du das? Aber Adam hat nie Ruhe gegeben und jedes Mal davon gesprochen, wie frei doch die Fahrenden wären, wenn ihm etwas am Hof nicht passte. Der Dummkopf hat nie auf die Vernunft gehört, soviel ich auch dagegen anredete. Nun hat er sie, die Freiheit der Fahrenden, wie viele andere vor ihm.«
» Du meinst, es wäre auch besser für mich, zu bleiben und wie eine Gefangene zu leben?«
» Ich meine, dass du noch an deinem Stolz zu schlucken haben wirst, ganz gleich, was du tust. Und mich wirst du mit hineinziehen. Meine einzige Hoffnung ist, dass du bleibst, bis dein Onkel eintrifft, und dass er besser ist, als du glaubst.«
Hedwig nickte. » Dann werde ich also warten. Aber wenn ich am Ende entscheide, dass ich gehen muss, wirst du mich begleiten, und wir suchen gemeinsam einen Platz für dich. Bist du damit einverstanden?«
» Zeigst du mir, wie man mit einem Bogen schießt?«
» Wenn du es wünschst.«
Irina lächelte spöttisch. » Wie man einem Wolf die Kehle durchschneidet?«
Hedwig lachte. » Kein
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