Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Nacht lang habe sich der greise Kardinal in furchtbaren Magen- und Darmkrämpfen gewunden.
In diesem Fall wurde der Mordverdacht durch einen späteren Prozess bestätigt, den Julius II., der zweite Nachfolger Alexanders VI., schon 1504 führen ließ. Gemäß den Mitschriften eines unverdächtigen Zeugen des Verfahrens gestand der Haushofmeister Michiels namens Asquino de Colloredo, dass er gegen eine Belohnung von tausend Dukaten dem Koch ein weißes Pulver zur Beimischung in die Speisen übergeben hatte. Erhalten habe er das Pulver von einer hochgestellten Persönlichkeit, die zu nennen der Anstand verbiete. Doch kurz darauf nannte der Angeklagte sogar zwei Anstifter beim Namen: Alexander VI. und Cesare Borgia hätten ihm diesen Auftrag erteilt! Das war ohne Zweifel die Aussage, die Julius II. hören wollte. Die Borgia mussten jetzt als Sündenböcke für alle Fehlentwicklungen an der Kurie herhalten; insofern wurde gegen den Mörder Michiels ein Schauprozess geführt.
Trotzdem darf die Verantwortung der Borgia im Mordfall Michiel als erwiesen gelten, wie schon der Papsthistoriker Ludwig von Pastor Ende des 19. Jahrhunderts befand, der jeder antikatholischen oder antispanischen Haltung unverdächtig ist. De Colloredo offenbarte im Laufe der Verhandlungen so viel Hintergrund- und Detailwissen über das Verbrechen, wie es nur der Täter selbst erworben haben konnte. Auch einen Deal mit der Anklage hatte er nicht geschlossen, denn die Aufdeckung seiner Hintermänner bewahrte ihn nicht vor der Hinrichtung.
Was bei Michiel nicht zu holen war, mussten die Borgia anderweitig beschaffen. Am 31. Mai 1503 griffen sie ein weiteres Mal auf das bewährte Verfahren zurück, Kardinalshüte meistbietend zu versteigern. Wie immer hatten sie dabei ein wachsames Auge darauf, neben den finanziellen auch die politischen Interessen der Familie nicht zu vernachlässigen: Fünf der neun Kirchenfürsten, die am Ende den Zuschlag erhielten, waren treue Gefolgsleute aus Spanien. Diese Ernennungen waren zugleich ein Signal an Ferdinand und Isabella, dass die Spanier zusammenhalten sollten. Geld war auf diese Weise zwar reichlich vorhanden, doch die militärischen Operationen kamen im Sommer 1503 nicht voran. Soviel Zögern und Tatenlosigkeit waren untypisch für den Papst und seinen Sohn. Umso größere Aktivitäten entfalteten die beiden Großmächte. Von Norden näherte sich eine französische Ersatzarmee, die im Kampf um Neapel dringend benötigte Verstärkung bringen sollte; Ludwig XII. war zwar mit den Borgia formell weiter verbündet, doch wusste er von den Gerüchten, dass diese den Wechsel auf die Seite Spaniens planten. In Rom wurde deshalb die höchste Alarmstufe ausgerufen. Im Süden schließlich operierte der Große Kapitän immer erfolgreicher. Was der Papst und sein Sohn von ihm zu erwarten hatten, war gleichfalls ungeklärt.
Solange die politischen Weichen nicht endgültig gestellt waren, mussten neue Eroberungen zurückgestellt werden. Dafür schlug der Tod jetzt gleich doppelt zu. Am 1. August 1503 starb Kardinal Juan Borgia-Lanzol, Alexanders erster und ältester Nepot. Sein gleichnamiger jüngerer Verwandter hatte schon drei Jahre zuvor das Zeitliche gesegnet. Damit war die Präsenz der Familie im Kardinalskollegium geschwächt. Allein schon deshalb sind in diesem Fall alle Verdächtigungen haltlos, der Papst selbst habe seine Neffen umbringen lassen. Das Geld, das die Borgia aus dem Nachlass des Toten bezogen, wog den politischen Verlust nicht auf. Nachdem er trotz der Trauer über den Tod seines Verwandten den elften Jahrestag seiner Papstwahl gefeiert hatte, fühlte sich Alexander VI. am Morgen des 12. August 1503 plötzlich unwohl. Am Nachmittag stellte sich Fieber ein, das sechs Tage später zum Tode führte. Auch Cesare erkrankte schwer, doch überlebte er dank seiner eisernen Konstitution.
Für die Öffentlichkeit war der Fall klar: Der Giftmischer war selbst vergiftet worden. Wie und wo, darüber kursierten liebevoll ausgemalte Geschichten. Alexander und Cesare, so hieß es, hatten beim Gartenfest eines Kardinals die Pokale verwechselt und dadurch das ominöse weiße Pulver selbst zu sich genommen, das ihren Feinden zugedacht war. Bei nüchterner Auswertung der Krankheitssymptome spricht hingegen alles für Malariaanfälle. Dass sich der Leichnam des Papstes rasch aufs Grausigste verfärbte, wie in zahlreichen Berichten eingehend geschildert wird, darf man getrost auf die römischen
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