Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
gar das Gift der Borgia?
Solche Sorgen plagten den venezianischen Botschafter, der seine Republik um dieselbe Zeit mit nicht weniger aufregenden Neuigkeiten versorgte, nicht. Anfang Dezember – so seine an der Lagune begierig erwarteten Depeschen – machte Alexander VI. dem Kardinal Giovanni Battista Orsini ein verlockendes Angebot: Er möge sich doch aus dem Schmollwinkel des Mailänder Exils nach Rom zurückbegeben, wo ihm der Papst zu seinem persönlichen Schutz einhundert Bewaffnete stellen werde. Der päpstliche Zeremonienmeister Johannes Burckard berichtet sogar von noch viel weiterreichenden Versprechungen: Alexander VI. soll Orsini die Stimmen der borgiatreuen Kardinäle im nächsten Konklave und damit indirekt seine Nachfolge in Aussicht gestellt haben. Auf jeden Fall hatte diese Werbung Erfolg: Der einflussreiche Kardinal kehrte nach Rom zurück, wo ihn der Papst wie einen verlorenen Sohn empfing.
Trotz seines Unwohlseins wurde Machiavelli in der verschneiten und vereisten Romagna zum Zeugen unerhörter Ereignisse, von denen er sensationelle Berichte nach Florenz liefern konnte. Für den letzten Tag des Jahres 1502 beraumte Cesare Borgia ein Treffen mit seinen Generälen nach Senigallia ein. In der Stadt an der Adria sollten letzte Missverständnisse ausgeräumt und verbindliche Absprachen für ein einvernehmliches weiteres Vorgehen getroffen werden. Versöhnung stand also auf der Tagesordnung – und ein Programm für die Zukunft, in der jedem das Seine zuteil werden sollte. Bei diesen Ankündigungen schwante den Baglioni in Perugia nichts Gutes; sie glänzten durch Abwesenheit. Dass mit Paolo und Francesco Orsini, Vitellozzo Vitelli und Liverotto da Fermo die Mehrheit der in Gnaden wiederaufgenommenen Ex-Rebellen der Einladung Folge leistete, warf schon für Machiavelli Fragen auf: Waren sie wirklich so gutgläubig, auf die Zusicherungen eines Papstes zu vertrauen, der als notorischer Meineid-Schwörer bekannt war? Oder planten sie ihrerseits einen Anschlag, um sich ein für allemal der Borgia-Gefahr zu entledigen? So wie sich die ehemaligen Verschwörer verhielten, sprach alles für eine Arglosigkeit, die jede Vorstellungskraft sprengte.
Denn die Generäle folgten widerstandslos Cesares Anweisungen. In seinem Auftrag besetzten sie das Städtchen Senigallia, und auf seinen Befehl standen sie am Nachmittag des 31. Dezember 1502 bereit, um ihren Anführer bei seiner Ankunft vor der Stadt gebührend zu begrüßen. In einer späteren literarischen «Bearbeitung» seiner Gesandtschaftsberichte behauptet Machiavelli, Liverotto hätten im letzten Moment böse Vorahnungen beschlichen, woraufhin er seine Truppen in Alarmbereitschaft setzen wollte. Als Cesare von solchen Gegenmaßnahmen erfuhr, bat er Liverotto laut Machiavelli, diesen Tag der Freude und des gemeinsamen Triumphes doch nicht mit seinem Misstrauen zu verdüstern – und hatte Erfolg. Liverotto stellte zwar die Mobilisierung seiner Leute ein, sei aber, so weiterhin der «Geschichtsromancier» Machiavelli, zur Begrüßung Cesares mit allen Zeichen der Resignation gezogen: wie ein Lamm zur Schlachtbank. Von solchen Bedenken fünf vor zwölf schweigen die übrigen Quellen.
Sicher überliefert hingegen ist der Schlussakt des Dramas: Nach dem Austausch verbaler Herzlichkeiten ließ Cesare seine Generäle diskret von zuverlässigen Offizieren eskortieren. Diese ließen die Ehrengäste auch in ihren Quartieren nicht aus den Augen. Dort ereilte am Abend alle vier ihr Schicksal: Vitellozzo Vitelli und Liverotto da Fermo wurden in der Neujahrsnacht von Cesares Henker erwürgt; die beiden Orsini blieben als nützliche Geiseln vorerst am Leben.
Gleichzeitig beschattete Alexander VI. höchstpersönlich den Kardinal Giovanni Battista Orsini, und zwar beim Kartenspiel, der Lieblingsbeschäftigung dieses Kirchenfürsten. Erst als in der Nacht vom 2. auf den 3. Januar 1503 ein Eilbote mit der erlösenden Nachricht von der Ermordung und Gefangennahme der Gegner im Vatikan eintraf, bereitete der Papst diesem Spiel ein brüskes Ende: Orsini wurde mit seinen Verbündeten verhaftet, als Hochverräter in der Engelsburg inhaftiert und unter Anklage gestellt: Zusammen mit seinen Verwandten habe er einen Anschlag auf das Leben des Pontifex maximus geplant. Darauf stand die Todesstrafe, auch für Kirchenfürsten. Für die Römer, die dem Schauspiel des Orsini-Sturzes mit einer Mischung aus Grauen und Faszination beiwohnten, standen die Überlebenschancen der
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