Die Botin des Koenigs reiter2
Sie war kalt und berechnend gewesen.
Ein Teil von ihr gratulierte sich dazu, getan zu haben, was notwendig war, um ihre Ländereien zu erweitern und die Herrschaft zu wahren. Es hatte schwere Verluste gegeben, aber das war nun einmal der Preis der Macht.
Ein anderer Teil von ihr war so angewidert, dass ihr schlecht wurde.
Abrupt stand sie vom Tisch auf, verließ eilig den Gemeinschaftsraum und ließ zwei verdutzte Reiter zurück.
Sie rannte in ihr Zimmer und schlug die Tür fest hinter sich
zu. Sie fühlte sich so … so unrein, ja besudelt. Das war nicht sie gewesen, die so gnadenlos gespielt hatte, oder? Sie hasste das Spiel, und wann immer man sie dazu verleitet hatte zu spielen, hatte sie verloren. Bis auf dieses eine Mal.
»Das ist Wahnsinn«, sagte sie.
Sie ging zu ihrem Tisch und griff nach dem Spiegel, um zu sehen, ob ihr Hörner gewachsen waren, seit sie zum letzten Mal hineingeschaut hatte.
Der Spiegel hatte einmal ihrer Mutter gehört, ein Hochzeitsgeschenk ihres Vaters, Teil einer schönen silbernen Frisiergarnitur, in deren Rücken Wildblumen eingraviert waren. Karigan erinnerte sich daran, wie sie als kleines Mädchen aus dem Bett gestiegen war und ins Zimmer ihrer Eltern gespäht hatte. Dort hatte ihre Mutter in einem weißen Hemd im Kerzenlicht auf der Bettkante gesessen, in den Spiegel geschaut und leise gelacht, während ihr Vater ihr zärtlich das lange braune Haar bürstete. Karigan hatte fasziniert zugesehen, bis eine ihrer Tanten sie gefunden und mit einem Klaps aufs Hinterteil ins Bett zurückgeschickt hatte.
Karigan lächelte über die Erinnerung. Das gab ihr wieder mehr Gleichgewicht. Aber als sie in das versilberte Glas des Spiegels schaute, war es nicht ihr eigenes Gesicht, das sie erblickte.
Die Macht des Schwarzschleierwalds wächst, sagte das Gesicht im Spiegel.
Karigan stieß einen leisen Schrei aus und warf den Spiegel weg. Um Haaresbreite wäre er gegen die Wand geprallt, aber kurz davor blieb er einfach mitten in der Luft hängen.
Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn, dachte sie.
Es wurde noch schlimmer. Der Spiegel flog direkt zu ihr, als würde er von geisterhafter Hand bewegt. Karigan rannte zur Tür, aber der Spiegel war vor ihr da und bedrängte sie erneut.
Sie wich zurück, bis sie zwischen Kleiderschrank und Wand eingeklemmt war.
Der Spiegel drehte sich, sodass sie ihm gegenüberstand. Blaugrüne Augen schauten heraus, löwenhafte Züge mit hellbraunem Haar. Ein Gesicht, das Karigan schon einmal gesehen hatte, tausend Jahre in der Vergangenheit.
Wir haben nicht viel Zeit, sagte Lil Ambrioth, bevor die Tür sich wieder schließt, also hör mir diesmal gefälligst zu, ja?
Karigan wollte unbedingt wissen: Welche Tür?, so dumm das auch sein mochte.
Der Einfluss des Schwarzschleierwaldes hat dich berührt – widersetze dich! Ich werde helfen, so gut ich kann, aber es liegt an dir, dich zu widersetzen …
Lils Gesicht verschwand, und der Spiegel fiel. Karigan griff schnell danach. Sie drückte ihn an die Brust, rutschte an der Wand herunter und blieb halb betäubt auf dem Boden sitzen.
Barston Groch schmauchte seine Pfeife und schaute im trüber werdenden Licht auf das wogende Grasland der Provinz Mirwell hinaus. Der Stiel seiner Pfeife passte hervorragend in eine Lücke zwischen seinen Zähnen, und weißer Rauch stieg in die Luft.
Polly und Bill trieben hechelnd Ausreißer zur Herde zurück und hielten wachsam nach Raubtieren Ausschau. Schafe blökten und kauten zufrieden. Ihre wolligen Rücken hoben sich im schwindenden Licht immer noch hell vor dem üppigen Gras ab.
Barston war an diesem schönen Sommerabend so zufrieden wie ein Widder. In ein paar Tagen würden er und die Collies seine fette, wollige Herde nach Dorvale zum Markt bringen, und er würde mit einer wohlgefüllten Börse zurückkehren.
Gutes Futter war der Schlüssel dazu. Er brauchte sich um dieses Grasland nicht mit anderen zu streiten. Das gute Futter half den Mutterschafen, kräftige Lämmer zur Welt zu bringen, und wenn die Lämmer entwöhnt waren, fraßen sie das gleiche feine Gras. Alles andere Grasland in dieser Gegend war überweidet und vom Vieh der Bauern niedergetrampelt. Wenn Barston seine Schafe dort weiden würde, hätte er magere, kränkliche Lämmer statt der schönen, kräftigen Tiere, die er nun vor sich sah.
Als es dunkler wurde, senkte sich Nebel übers Land. Auf einer Anhöhe in der Nähe verwandelten sich der riesige alte Grabhügel und die Obelisken, die ihn umgaben, zu
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