Die Botin des Koenigs reiter2
vor dem Hintergrund der Nacht an. Sein Haar war blond, und er hatte einen Spitzbart. Sie sahen einander an.
Karigan hielt die Luft an, als sie ihn erkannte. Hadriax el
Fex! Er sah viel gesünder, viel kräftiger und unversehrter aus als bei seinem Treffen mit Lil Ambrioth am Wächterhügel.
Der Prinz fuhr rasch mit der Hand über die Schale und löste das Bild auf. Das Wasser nahm wieder seinen friedlichen silbernen Schein an, und ein paar glitzernde Sterne spiegelten sich darin.
»Es ist nicht gut, solche Bilder heraufzubeschwören«, sagte er. »Manchmal funktioniert der Spiegel nach zwei Seiten. Du kannst jetzt wieder hineinsehen.«
Das tat sie, und sofort begannen die Bilder. Ihr Vater saß an seinem Schreibtisch und schrieb in ein Hauptbuch. Er sah müde aus, schien aber gesund zu sein. Rasch verschwand dieses Bild wieder, und es folgte ein anderes. Alton lag schlafend neben einer riesigen Mauer – das war sicher der D’Yer-Wall. Karigan war sich bewusst, dass der Nebel sich veränderte und am Rand der Lichtung Formen annahm, aber sie wagte nicht, den Blick vom Spiegel zu wenden, denn Alton sah schrecklich krank aus. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, schwitzte stark und murmelte unruhig im Schlaf vor sich hin. Seine Wangen waren bleich und eingefallen, und Karigan war sofort von Sorge erfüllt.
Die Szene änderte sich abrupt, und sie sah einen Burgflur, in dem König Zacharias mit Brexley unterwegs war. Lady Estora ging neben ihm her und unterhielt sich mit ihm. Karigan hatte das Gefühl, beinahe ihre Worte hören zu können, und dann läutete eine Glocke … Sie sah Hauptmann Mebstone, die in die Nacht hineinschaute, und das Licht eines Feuers fiel flackernd auf ihr Gesicht.
Neue Szenen begannen. Schnee fiel in der Nacht, und sie spürte, dass der Nebel auf der Lichtung auch dieses Bild nachformte und die Lichtung mit scheinbarem Schneegestöber überzog, als würde eine dieser Schneekugeln, wie sie die
feinen Damen besaßen, heftig geschüttelt. Der Wind war stürmisch, brach Zweige ab und fegte den Schnee vor sich her — Karigan glaubte, den Biss der Kälte in ihrem Gesicht spüren zu können. Eine Gestalt stapfte durch den Schnee, vornübergebeugt, als wäre sie schwer verwundet, dem Tode nah.
Der Wind blies das Haar aus dem Gesicht der Gestalt, und Karigan erkannte sich selbst. Sie öffnete den Mund, konnte aber nichts sagen.
Die Gestalt in der Vision schaute über die Schulter, dann stapfte sie mit neuer Entschlossenheit weiter. Es war, als würde sie gejagt.
Dann verblasste die Vision, und das Wasser wurde wieder zu Silber. Karigan schaute den Prinzen an. Was besagte diese Szene? Wie war sie verwundet worden? Würde sie sterben? Wann würde das geschehen?
Aber der Prinz verriet ihr nichts. Stattdessen sagte er: »Das ist noch nicht alles. Schau wieder in den Spiegel.«
Sie tat es, aber erneut konnte sie nur ihr Spiegelbild erkennen.
Sie rückte näher, sah sich selbst, wie sie zurückschaute. Braunes Haar rahmte ihr Gesicht. Das Gesicht, das dem ihrer Mutter angeblich so ähnlich war, zeigte, wie erschöpft sie war. Ansonsten sah sie genauso aus wie immer. Das Wasser zeigte einfach einen Grünen Reiter, die Tochter eines Kaufmanns.
Aber als sie genauer hinsah, entdeckte sie eine Person, die nicht zugeben konnte, wie sehr sie die Ereignisse verängstigten und überwältigten. Sie sah eine junge Frau, die in bedeutende Ereignisse verstrickt war und große Verantwortung übernahm. Vielleicht zu große.
Strahlende Augen spiegelten sich. Diese Augen waren Zeugen von Gewalttätigkeit geworden, von vielem, das seltsam
und verletzend gewesen war. Traurig erkannte sie, dass ein so einfaches Leben wie das eines Kaufmanns für sie nicht mehr möglich war.
Sie sah auch die dünne Schicht von Selbstsicherheit, mit der sie über Angst und Zerbrechlichkeit hinwegzutäuschen versuchte. Es lag eine solche Last auf ihren schmalen Schultern … die Arbeit für die Reiter, die keinen Hauptmann mehr hatten, die übernatürlichen Besuche des Ersten Reiters und die Reisen in die Vergangenheit. Und nun war da auch noch alles, was der eletische Prinz ihr gesagt hatte. Wie konnte sie eine solche Last tragen? Sie hatte nicht die Kraft dazu.
Selbstzweifel erschütterten sie. Ihre Angst ging sehr tief und zog ihr das Herz zusammen. Sie hatte Angst, ihren Vater zu verlieren, der sie allein aufgezogen und das Fundament ihres Charakters gelegt hatte. Wenn ihm etwas zustieße, wäre sie allein auf der
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