Die Botschaft Der Novizin
sich für einen Moment in seinem Besucherzimmer niedergelegt hatte, um nachzudenken. Offenbar war er eingeschlafen. Irgendetwas hatte ihn geweckt, ein Geräusch, eine Bewegung. Er lauschte, doch nichts rührte sich.
Der Pater setzte sich auf. Ein heißer Schmerz fuhr seine Schulter hinauf bis in den Hals. Er ging von der Achselhöhle aus. Sofort durchzuckte ihn ein schrecklicher Gedanke. Kerzengerade setzte er sich hin und tastete seine Achselhöhle ab – doch er fühlte nichts, keinen Knoten, keine Verdickung, keinen weiteren Schmerz. Vermutlich hatte er nur unbequem gelegen.
Ein leises Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Das also war es gewesen, was ihn aus seinem Schlummer geweckt hatte. Er räusperte sich und rief: »Tretet ein! Es ist offen!«
Die schwere Tür schwang langsam nach außen auf. Im Dunkel des Gangs konnte er zuerst nicht erkennen, wer davorstand. Erst als die Person sich auf der Schwelle befand, stutzte der Pater.
»Schwester? Was kann ich für Euch tun?«
Die Nonne lächelte dünn. Sie sah sich forschend um.
»Sind wir allein?«, fragte sie.
Padre Antonio musste laut lachen. »Wen außer mir habt Ihr erwartet?«
Die Nonne räusperte sich, dann drehte sie sich um, spähte zur Tür hinaus und ließ diese leise wieder ins Schloss fallen. Mit einem Ton in der Stimme, aus dem der Pater eine gewisse Enttäuschung herausfilterte, konterte sie: »Nun, es gibt in diesem Haus seit der Visitation durch Euch und den Patriarchenso gewisse besondere Vorlieben ... Es hätte ja sein können ...« Sie räusperte sich, ließ jedoch keinen Zweifel daran, was sie meinte.
Padre Antonio trocknete die Mundschleimhaut aus, und er musste zweimal krampfhaft schlucken. »Seid Ihr deshalb hier, Suor ...?«
»Suor Anna.«
Jetzt erinnerte sich der Pater an die ein wenig korpulente Nonne, die er flüchtig im Rahmen seiner Visitationen kennengelernt hatte. Eine Küchenschwester, war es nicht so? Das musste etliche Tage her sein, und ihm kam es so vor, als hätte sie sich in dieser Zeit verändert. Ihr Bauch war teilweise verschwunden, und die Gesichtszüge hatten sich verschärft. Nur ihr enormer Brustumfang schien derselbe geblieben zu sein. Sie war trotz allem eine attraktive Frau, stellte er fest, auch wenn sie nicht sein Typ war. Anders als etwa die junge Isabella ...
»Ihr kennt die Educanda Isabella?«, fragte Suor Anna unvermittelt.
Padre Antonio, der bislang sitzen geblieben war, stand so schnell auf, dass die Nonne zur Tür zurückwich. »Was wisst Ihr von Isabella? Geht es ihr gut? Ich suche sie schon eine ganze Weile.«
Seine Augen oder seine Stimme mussten ihn verraten haben, denn Suor Anna lächelte nachsichtig. »Es geht ihr gut. Sie will Euch sehen.«
Padre Antonios Augen wurden größer, doch er konnte es nicht verhindern. Er musste aussehen wie ein verliebter Idiot, denn die Nonne unterdrückte ein Grinsen.
»Wann? Wo ...?«, fragte er heiser.
»Jetzt. Sofort. Ihr müsst sie nur noch ins Kloster holen. Sie wartet vor der Pforte auf Euch.«
Der Pater wollte etwas sagen, doch seine Stimme gehorchte ihm nicht recht. Er räusperte sich lautstark und versuchte, seine arge Verlegenheit in einem Husten zu verbergen. Als erbemerkte, wie seine Hände zu zittern begannen, senkte er vor Scham den Blick.
»Warum ... warum steht sie vor dem Kloster? Sie ist Mitglied des ... Konvents ... sie kann jederzeit ...«
»Redet nicht«, unterbrach ihn Suor Anna. »Sie wird es Euch erklären. Rasch, solange die Nonnen im Chor die Vesper singen.«
Padre Antonio horchte auf den Gesang, der schwach sogar bis zum Besucherzimmer durchdrang. Mindestens drei Stunden hatte er geschlafen! »Führt mich, und erzählt mir auf dem Weg, was das alles zu bedeuten hat.«
Die Nonne schlüpfte nach draußen und zog den Pater hinter sich her. Doch sie sprach kein Wort mit ihm. Erst als sie die Pforte erreichten, wandte sie sich zu ihm um und sagte: »Wenn Ihr es wünscht, begleite ich Euch nach draußen, doch ich darf nicht außerhalb der Mauern bleiben.«
Padre Antonio öffnete und schloss den Mund, ohne etwas zu erwidern. Suor Anna legte den Kopf an die Öffnung, durch welche die Portaria, die Pfortenschwester, von den Wünschen der Davorstehenden erfuhr, dann klackte der Verschluss und die Pforte öffnete sich. Ohne sich weiter um den Pater zu kümmern, huschte Suor Anna durch den Vorraum nach draußen. Die tief stehende Sonne blendete den Pater, als er hinaustrat. Der Vorplatz lag im Schein der
Weitere Kostenlose Bücher