Die Botschaft Der Novizin
oder weil sie zu lange geschwiegen hat, wurde sie getötet. Und Suor Anna hat diese Lösung ebenfalls gefunden. Vielleicht haben die beiden vorher noch miteinander geredet, und die Novizin hat Suor Anna die Botschaft des Freskos weitergereicht ... «
Signora Artella sperrte sich noch immer. »Niemand geht nach draußen.«
Padre Antonio sah die Entschlossenheit in der Miene der Priorin, verstand jedoch nicht recht, warum sie sich sträubte.
»Ich weiß nicht, warum Ihr Euch weigert, den Weg freizugeben, Suor Artella«, versuchte sie der Pater zu überreden. »Wollten wir nicht gemeinsam Eurer Tochter zu Hilfe kommen?« »Sie lügt!«, herrschte Signora Artella den Pater an. »Dort draußen gibt es keine Zisterne. Es hat niemals eine gegeben!«
»Und es gibt sie doch«, stemmte sich Isabella gegen den Widerstand. »Der Zugang wird durch das Feigendickicht verborgen. Glaubt mir, ich habe sie gesehen. Das Band der Madonna am Eingang beschreibt den Weg dorthin. Es ist geformt wie der Weg durch das alte Kloster – und es führt über die letzte Mauer hinaus auf diesen Hof.« Isabella seufzte.
»Wenn Suor Anna den Zugang gefunden hat, warum ist sie nicht wieder herausgekommen?«
Daran hatte der Pater auch schon gedacht. Warum war sie spurlos verschwunden? Zugleich erinnerte er sich an ihr eigenes Schicksal in der Zisterne des zweiten Innenhofs.
»Womöglich hat jemand nachgeholfen!«, warf er ein. »Wenn Suor Anna in dieser Zisterne ihr Leben verliert, ist sie ebenso verschwunden wie am Grund der Lagune. Niemand würde sie dort vermuten, weil niemand ahnt, dass es dort überhaupt eine Zisterne gibt.«
Zum ersten Mal sah er den Zweifel im Blick der Priorin.
»Es müsste einen zweiten Zugang geben. Wo soll der sein?«, bäumte sich Signora Artella noch einmal auf. Es war ein Rückzugsgefecht. »Noch nie hat ihn jemand gesehen!«
Isabella schien zu überlegen.
Auch daran hatte der Pater bereits gedacht. Er war überzeugt, dass man den Einlass, allein der Sicherheit wegen, ins Kloster gelegt hatte.
Isabella war offenbar zum selben Ergebnis gekommen. »Vielleicht ist er im Laufe der Jahrhunderte zugestellt worden«, murmelte sie und ließ Signora Artella einfach stehen. »Verschwunden hinter Regalen oder Schränken. In diesem Gewölbe hier wird alles Mögliche gelagert.«
Sie begann sich zu entfernen, und Padre Antonio folgte ihr. Er überlegte sich, wo die Zisterne draußen im Verhältnis zur Pforte liegen mochte, und versuchte den besten Ort für einen Zugang ausfindig zu machen.
»Es muss eine Öffnung geben«, sagte Isabella und bewegte sich in Richtung Vorratskeller. »Ich habe mich beim ersten Rundgang schon gefragt, warum es hier so feucht und dumpf ist, warum dieser Teil des Klosters kühler wirkt als der Rest. Es liegt natürlich an der Zisterne. Sie versorgt diesen Gebäudeteil mit Feuchtigkeit, weil sie noch immer Wasser sammelt.« Sie begann den Gang zurückzugehen, bog dann nach links ab. Der Pater folgte ihr, und sie betraten das Reich der Cellerarin, einen lang gestreckten Gebäudeteil, der sich als Aufbewahrungsort vorzüglich eignete. Zwei kleine Öllämpchen erleuchteten den Raum dürftig. Der Pater erinnerte sich an seinen Aufenthalt hinter dem Krautfass und an den Geruch der Lageräpfel. Isabella wandte sich erneut nach links und begutachtete die Mauer, die nach draußen hin abschloss. Auch der Pater bemerkte, was ihre Aufmerksamkeit angezogen hatte. Das Gewölbe war zur Gänze mit einem Kellertuch überzogen. So nannte man den dunklen Schimmel, der die Mauer bedeckte. Allerdings gedieh er zur Außenwand hin besser. Diese schien feuchter zu sein.
Wenn er es recht bemerkt hatte, dann waren sie sogar einige Fuß nach unten geführt worden. Das bedeutete, der Fußboden lag unterhalb des Boden niveaus draußen. Wenn sich hier ein Zugang verbarg, dann musste er höher liegen, denn die Feuchtigkeit des Gewölbes konnte daher rühren, dass das Wasser der Zisterne durch die starke Mauer langsam nach innen sickerte und dort verdunstete. Eine perfekte Kühlung.
Beinahe gleichzeitig legten er und Isabella den Kopf in den Nacken, und ihre Blicke wanderten den mittleren Mauerbereich entlang. Der Vorratsraum war über und über mit offenen Regalen bedeckt, die den Blick auf die eigentliche Mauer verwehrten. Nur in den Lücken konnte man das Kellertuch dahinter erkennen. Die Regale hatten Rückwände aus Holz, ein probater Rattenschutz.
Plötzlich deutete Isabella auf eines der Regale: »Dort!«, rief sie.
Weitere Kostenlose Bücher