Die Botschaft Der Novizin
schnüffelte, dann nahm sie sich ein Herz, steckte ihren Finger in das Nass und leckte ihn ab.
»Lagune«, sagte sie.
Der Pater hob die Augenbrauen. Im engen Kreis des Kerzenlichts verdüsterte sich seine Miene allzu sehr.
»Was bedeutet das?«, flüsterte er. »Ist die Zisterne undicht?« Isabella glaubte nicht daran, obwohl es durchaus der Grund gewesen sein konnte, die Zisterne aufzugeben und zu vergessen. Sie legte einen Finger an ihr Ohr. Das Rauschen kam von weiter vorne und füllte deutlich den Gang aus.
»Kommt weiter.« Sie nahm ihm die Kerze aus der Hand und eilte voran. Mit jedem Schritt stieg das Wasser höher hinauf, und die Kälte der Lagune kroch ihr unbarmherzig in den Leib. Der Weg führte abwärts, wenn auch nur leicht, bis das Wasser ihre Oberschenkel umspülte. Jemand hatte eine Schleuse geöffnet, schoss es ihr in den Kopf, ein Wehr, mit dem man die Zisterne fluten konnte. Womöglich war es niemals eine wirkliche Trinkwasserzisterne gewesen, sondern ein Fischbecken. Oftmals besaßen Klöster solche Becken, um an Fasttagen ihr Essen frisch aus dem Wasser fischen zu können. Fische galten nicht als Fleisch und ersetzten daher freitags und an Abstinenztagen tierische Nahrung. War das der Grund für die Darstellung der Fischwesen an der vierten Initiale gewesen? In ihrer Suche nach verborgener Symbolik hatte sie das Offensichtliche übersehen.
Kurz blieb sie stehen, weil sie ein Weinen zu vernehmen glaubte. Das Weinen eines Kindes! Isabella erschrak. War das womöglich die kleine Francesca? Viele Kinder gab es nicht in der Nähe.
Mit doppelter Anstrengung platschte sie vorwärts und wäre beinahe über den Rand des Zugangs gestolpert. Ihr Fuß trat bereits ins Leere, doch sie hatte sich mit einer Hand an der gewölbten Mauer abgestützt und konnte so ihren Fall verhindern. Außerdem griff von hinten eine Hand beherzt zu und hielt sie fest.
Vor ihr tat sich ein Rund auf, das nur von einem hellen Fleck an der Decke beleuchtet war, dem Zugang zur Zisterne. Auf den ersten Blick sah sie, dass es kein Süßwasserspeicher war. Aus einer Schleusenöffnung zu ihrer Rechten rauschte Wasser in die Teichgrotte und hüllte alles in einen trüben Dunst.
»Wer hat das Wehr geöffnet? Suor Artella?«, schrie Padre Antonio, der an ihre Seite getreten war und die Szenerie betrachtete.
Isabella konnte nur mit den Schultern zucken, verstand sie doch selbst nicht, warum das alles geschah. Doch sie deutete mit der Hand an ihr Ohr und bildete eine Muschel. Das Schreien kam eindeutig aus der Grotte vor ihnen.
Sie hielt das Licht über ihren Kopf und versuchte so, den Raum ganz auszuleuchten. Es war ein vergebliches Bemühen. Der Wasserspiegel stieg unaufhörlich, und Isabella überlegte, ob er wohl Teile des Vorratskellers überfluten würde oder ob der Zisternenzugang höher lag als der Wasserspiegel der Kanäle ringsum.
»Wir müssen hineinsteigen!«, rief sie und ließ sich gleichzeitig ins Wasser gleiten. Das Becken war deutlich tiefer als die Zisterne des zweiten Innenhofs. Das Wasser reichte ihr bereits bis ans Kinn, und sie erreichte den Boden nur noch mit den Zehenspitzen. In wenigen Augenblicken würde sie schwimmen müssen. Isabella hatte die Öllampe über ihren Kopf gehaltenund so verhindert, dass sie gelöscht wurde. Jetzt versuchte sie die Herkunft des Weinens zu bestimmen, doch das Rund des Gewölbes verzerrte die Geräusche. Sie glaubte ständig, das Kinderweinen liege direkt vor ihr. Gleichzeitig hielt sie Ausschau nach einem Ort, wo das Manuskript verborgen sein könnte, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, dass es jemandem eingefallen wäre, es in diesem feuchten Klima zu lagern.
»Isabella! Hierher!« Der Pater rief nach ihr. Er war ihr offenbar ins Wasser gefolgt und hatte die andere Richtung durch das Beckenrund genommen.
Isabella beschloss, quer durch die Fischzisterne zu waten. Aus dem undeutlich durch die Lampe ausgeleuchteten Teil direkt an der Schleuse schälten sich langsam Gestalten. Es war der Pater, wie sie am hellen Reflex der Tonsur am Hinterkopf erkannte. Er bemühte sich offenbar um ein weiteres menschliches Wesen, das bewusstlos in seinen Armen hing, das Gesicht immer wieder vom Wasser überspült. Direkt dahinter schwamm ein Flechtkorb, aus dem das Kindergewimmer stammte.
»Suor Anna!«, schrie Isabella, als sie die Nonne erkannte. Mit einem Blick hatte sie die Situation erfasst. Suor Anna war offenbar ohne Bewusstsein und trieb im Wasser. Das Kind lag im Korb und war
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