Die Botschaft Der Novizin
hatte fallen lassen, als sie hinter der Holzpaneele stehend ihr und dem Vater des Kindes beim Gespräch zugehört hatte. Hatte Anna nicht gesagt, »... damit Ihr sie auch tötet wie Suor Francesca ... ?« Es war so schnell gegangen, und Isabella wollte nicht ausschließen, dass sie sich verhört hatte. Man hörte gern, was man hören wollte. Außerdem hatte er gesagt, er würde Suor Anna, Isabella und das Kind auf die Terra ferma bringen lassen. Das waren seine Worte gewesen.
»Sie wurde aufs Festland gebracht, vom ... vom Vater des Kindes! Ich habe es gehört. In eine Fischerhütte!«
»Mein Gott!«, entfuhr es der Priorin. »Mein Gott! Sie ...«, SignoraArtella stockte, und ein Schluckauf bemächtigte sich ihrer, »... er hat sie ertränken lassen!«
Isabella erschrak zumindest so tief wie Signora Artella, als sie von diesem Gespräch erzählt hatte.
»Ihr meint, das Angebot, sie auf die Terra ferma zu bringen, war nur ein Lockmittel, um sie in der Lagune ... « Isabella wagte nicht weiterzusprechen.
»... ja, um sie in der Lagune den Fischen zu übergeben. So haben sie es immer gehalten, wenn die Lust zu mehr führte als zur Befriedigung der Begierde. Niemand wird die Leiche finden, niemand wird sie je vermissen.« Signora Artella wirkte jetzt alt, älter, als sie tatsächlich war. Die Erkenntnis, ihre Tochter verloren zu haben, hatte sie getroffen.
Plötzlich drängte sich Isabella ein Verdacht auf.
»Und wenn sie sich doch irgendwo hier im Kloster verbirgt?« Wenn Suor Anna bewusst aus dem Kloster entfernt worden war, damit sie im »Roten Ochsen« gebären konnte und womöglich dem Zugriff des Mannes entzogen war, wenn sie dies alles gewusst hatte, warum war sie dann zurückgekommen? Das konnte nur eines bedeuten.
»Ich weiß – vielleicht –, wo Suor Anna sich aufhält«, fuhr sie leise fort, als spräche sie zu sich selbst. »Sie hat womöglich früher als ich die Botschaft der Karte entschlüsselt. Sie weiß, wo das Manuskript liegt.«
»Was sagt Ihr da?«
»Sie weiß, wo das Manuskript liegt«, betonte Isabella. »Und ich weiß es auch.«
»Ihr ... woher wisst Ihr das?« Signora Artella sprang auf und trat hinter dem Pult hervor, ihre Finger erneut zu einem Knäuel verknotet. »Wo ist Anna?«
Alles, was die Priorin bis dahin mit ihr vorgehabt hatte, war verflogen. In den Augen der Nonne fand Isabella nur noch die Sorge um Tochter und Enkelin.
Die beiden Frauen tauschten einen langen Blick aus, und Isabellaversuchte, hinter die darin sichtbare Trauer zu spähen, doch es gelang ihr nicht. Die alte Frau hatte zu viel Erfahrung darin, ihre tatsächlichen Gefühle zu verbergen.
»Ich zeige es Euch!«, sagte Isabella.
KAPITEL 62 Padre Antonio hegte ein wenig Bewunderung für diese zierliche Person. Intelligenz, Wissen und Ehrgeiz paarten sich hier in ungewöhnlicher Weise. Wäre sie keine Frau gewesen, sie hätte manchen Männern in der Kirchenhierarchie gefährlich werden können. Er dankte Gott dafür, dass diese Eigenschaften nicht zu den ursprünglichen der Weiblichkeit gehörten und der Herr die allermeisten Frauen doch einfältiger und schlichter in die Welt gesetzt hatte. Die Männer hätten sonst wohl um ihre Stellung im Gefüge der göttlichen Ordnung fürchten müssen.
Selbst bis in die Gewölbe der hinteren Klostergebäude drang der Brandgeruch, der sich vom Feuer der Bibliothek über die Stadt legte. Der Geruch eines geistigen Autodafé. Um die wertvollen Manuskripte tat es ihm leid. Sie waren einzigartig und damit unersetzlich. Ob er je wieder auf solch eine Ansammlung der Gelehrsamkeit der Vergangenheit stoßen würde?
Er richtete seine Aufmerksamkeit erneut auf Isabella. Nun gut, intelligent mochte sie sein. Und einen hübschen Körper hatte sie auch, wie er aus eigener Erfahrung wusste. Aber hatte er die junge Frau überschätzt? Was sie tat, widersprach jeglicher Vernunft. In ihrer Selbstüberhebung, die sich wohl auf ihre eher zufälligen Entdeckungen zurückführen ließ, folgte sie absurden Ideen.
»Ihr wollt in den hinteren Garten? Unmöglich. Ich werde den Schlüssel nicht wieder herausgeben!« Signora Artella stellte sich breitbeinig vor die Pforte.
Isabella stemmte die Arme in die Hüfte. »Und ich dachte, Ihr
wollt Eurer Tochter helfen!« Sie musste Luft holen, um ihrenaufflammenden Zorn zu dämpfen. »Versteht Ihr denn nicht? Julia war dort draußen. Die Novizin hatte das Rätsel bereits gelöst. Vor uns. Jemand hat ihr aufgelauert, und weil sie nichts sagen wollte
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