Die Botschaft Der Novizin
vergehen, wie im Herbst die Blumen welken, wenn der erste Frost darüber-streicht. Und wofür? Für einen Schatz, den wir nicht einmal mehr kennen.« Ihr bislang harter, straffer Gesichtsausdruck erschlaffte, als für einen Augenblick die Resignation über die Entschlossenheit obsiegte.
Jetzt räusperte sich der Pater. »Ihr wisst sehr wohl, was dieser Schatz ist, Ihr wisst nur nicht, wo er sich befindet.«
Mit der flachen Hand schlug die Priorin auf den Tisch. »Getraut Euch, mir solche Dinge zu unterstellen!«
Isabella sah in die Augen der Priorin und sah darin etwas, was ihr bislang so nicht aufgefallen war. Hatte die Entdeckung der Botschaft des Freskos ihren Blick geschärft? Signora Artellas Augenpartie, die Nasenkrümmung und die Anlage der schräg gestellten Nasenflügel kannte sie. Zweimal sogar. Sie waren dieselben wie bei Suor Anna und der kleinen Francesca!
»Wie geht es ... «, fragte sie und erwartete wieder eine Zurechtweisung, doch diesmal würde sie sich nicht unterbrechen lassen, »... Eurer Enkelin Francesca?«
Beide Köpfe fuhren zu ihr herum. Ins Schwarze getroffen, dachte sich Isabella.
»Was ... woher ... wie kannst du es wagen ...«, stotterte Signora Artella, doch diesmal hatte Isabella die Oberhand.
»Ich wage nichts, ich stelle nur fest. Euer Interesse an diesemKlosterschatz ist kein geistliches. Ihr wollt das Manuskript nicht deshalb finden, weil Ihr es beschützen wollt. Ihr wollt es finden, um es verkaufen zu können. Dem Meistbietenden. Habe ich recht? Wenn auch aus einem moralisch wenig verwerflichen Grund. Um dem Kind und seiner Mutter, Eurer Tochter, vielleicht auch, um Euch selbst eine Zukunft außerhalb dieser Mauern zu geben. Wie konnte ich nur so blind sein!«
Die Gesichtszüge der Priorin wurden so weiß wie Brusttuch und Schleier. Dann, ganz langsam, stieg ihr eine Röte in die Wangen, die sie von innen erglühen ließ.
»Du willst mir unterstellen ...«
»Ich unterstelle nichts. Ich weiß es, weil ich es gehört habe. Von Suor Anna selbst!«, sagte Isabella und deutete auf die Vertäfelung. »Dort, hinter der Holzwand habe ich gestanden und den beiden gelauscht: Suor Anna und ...«
»Nein!«, schrie die Priorin, umrundete das Schreibpult und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht.
Ungerührt nahm Isabella die Ohrfeige entgegen, obwohl die knochige Hand der Priorin auf ihrer Wange schmerzte. Nichts weniger war dieser Ausbruch von Gewalt und Entsetzen als ein Schuldeingeständnis. Signora Artella schluckte schwer.
»Nun ... wenn ich etwas nicht verstanden habe, dann ... «, versuchte Padre Antonio seine Unkenntnis zu verbergen. »Schweigt!«, zischte die Priorin, ohne sich zu ihm umzudrehen. »Ihr würdet es ohnehin nicht verstehen. Ihr seid ein Mann!« Das letzte Wort spuckte sie regelrecht aus.
Isabella schloss für einen Lidschlag die Augen. Sie hatte also recht behalten.
»Ihr wolltet für Eure schwangere Tochter nicht dasselbe Schicksal wie für Euch selbst«, erklärte sie, als verstünde sie das Verhalten der Nonne.
»Wer als Frau hinter diesen Mauern eingesperrt ist, kann ihnen nicht mehr entfliehen«, erklärte Signora Artella müde. »Essei denn, man wird rechtzeitig vor der Profess geheiratet oder besitzt ausreichend Mittel, um sich auf dem Festland ein bequemes Leben einzurichten. Meine Familie war niemals bereit, mir ein Leben in Wohlstand zu gewähren. Als ich mit Anna schwanger war, beendeten sie ihre Besuche und gaben kein Geld mehr. Eine Chornonne wird nicht schwanger. Eine Chornonne gebiert kein Kind. Eine Chornonne hat keinen Mann.« Die letzten Sätze tropften zäh wie Speichel aus ihrem Mund, voller Verachtung für den Pater, der mit gehobenen Brauen lauschte. »Außerdem war ich für ein Kind eigentlich zu alt. Fünfunddreißig! Mit fünfunddreißig denkt man an Höllenqualen, ans Fegefeuer und an die ewige Seligkeit, nicht daran, neues Leben in diese Welt zu setzen.«
Schwer ließ sich die Priorin in den Sessel hinter dem Lesepult fallen. Ihr Zorn, ihr Hass, ihre Straffheit, alles war von ihr abgefallen. Sie war jetzt nur noch eine verbitterte alte Frau.
»Wo ist Suor Anna?« Isabellas Stimme durchbrach die Stille im Raum, und dahinter kamen all die Gefühle wieder zum Vorschein, die eben wie fortgeblasen schienen.
»Woher soll ich das wissen? Ihr wart mit ihr zusammen. Ihr habt sie wieder hierhergebracht. Ihr seid schuld, dass sie ... dass sie diesem Teufel wieder begegnet ist!«
Isabella erinnerte sich, wie Suor Anna einen Satz
Weitere Kostenlose Bücher