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Die Botschaft des Feuers

Die Botschaft des Feuers

Titel: Die Botschaft des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Neville Charlotte Breuer Norbert Moellemann
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noch ein anderes Spiel - eine Art geheimes Spiel -, bei dem die Bauern und die anderen Figuren verborgen waren und sich nicht auf dem Brett befanden. Man benötigte eine ganz besondere Art des Sehvermögens, um sie unter der Oberfläche erkennen zu können. Er war schon in der Lage, sich vorzustellen, wo einige davon sein mochten …
    Aber es gab etwas, das er nie sehen konnte: den Tag, an dem es
geschehen war. Jedes Mal, wenn er versuchte, sich daran zu erinnern, löste dieser Versuch erneut die Explosion aus. Den Schmerz.
    Und was war mit seiner Tochter? Ihr Name war Alexandra, hatte Tatjana ihm erzählt. Und mit seiner Frau? Bald würde er sie beide sehen. Dann würde er sich wieder erinnern.
    Aber eins wusste er genau.
    Sie waren ein wichtiger Teil seines Schmerzes.

    Key gelang es immer wieder, mich zu verblüffen.
    Von Kamtschatka nach Tschukotka, von wo wir starten würden, um die Beringsee zu überqueren, waren es ungefähr sechshundertfünfzig Kilometer, aber obwohl unser rostiger, ramponierter Trawler ziemlich mitgenommen aussah, behauptete Key, wir würden für die Strecke weniger als sechs Stunden brauchen.
    Der Trawler - ein ehemaliger Schleppnetz-Fischdampfer, der zum Zweck der Meeresbeobachtung umgebaut worden war - lag im Hafen von Ust-Kamtschatsk so geschickt vor Anker, dass er den Blick auf Becky Beaver verstellte, als sie von der Stelle gleich in der Nähe außerhalb des Hafens, wo wir gelandet waren, angetuckert kam und direkt in die offene Ladeklappe des Schiffs schlüpfte, wo früher die mit Fischen gefüllten Netze eingeholt worden waren.
    »Ich habe den Eindruck«, sagte Key, »dass du mir allmählich glaubst, was ich dir anfangs darüber gesagt habe, wie kompliziert es war, diese kleine Vergnügungsreise zu organisieren. Auch wenn man hier in diesem Teil des Landes von Glasnost eher wieder in die Steinzeit zurückgekehrt ist, so hat doch die Zusammenarbeit zwischen Naturforschern, Vulkanologen und einheimischer Bevölkerung eine nie da gewesene Qualität erreicht, allerdings war sie auch nie so komplex und
risikoreich. Sollte ich je wieder in Versuchung geraten, bei einer derartigen Familienzusammenführung mitzuwirken, jag mir vorher eine Kugel in den Fuß, damit ich Zeit habe, mir das Ganze noch mal zu überlegen.«
    Ich muss gestehen, dass ich jetzt, wo ich so kurz davorstand, meinen Vater wiederzusehen, immer noch dieselben Bedenken hatte. Mein Herz zitterte wie Beckys Motor. Ich wusste nichts über den Zustand meines Vaters, wie krank er die ganze Zeit über gewesen war und inwieweit er sich wieder erholt hatte. Würde er sich überhaupt an mich erinnern? Wartan und Key, die meine Gedanken offenbar lesen konnten, hatten jeder eine Hand auf meine Schultern gelegt, als wir gemeinsam an Deck gingen.
    Am anderen Ende stand die hochgewachsene blonde Frau mit ein paar grauen Strähnen im Haar, die ich als die Großmutter erkannte, die ich nie kennengelernt hatte. Und neben ihr stand der Mann, von dem ich während der vergangenen zehn Jahre immer geglaubt hatte, dass ich ihn nie wiedersehen würde.
    Mein Vater schaute uns entgegen, als wir uns über das flache Deck näherten. Selbst von hier, vielleicht aus einer Entfernung von zehn Metern, sah ich, wie abgemagert er war, erkannte ich die klaren Linien seines Gesichts und seines Kinns über dem offenen Kragen seiner dunkelblauen Wolljacke. Und mir fiel die Narbe an seiner Stirn auf, die sein flachsblondes, struppiges Haar, obwohl es ihm ins Gesicht fiel, kaum verbergen konnte.
    Als wir drei vor ihm standen, konzentrierten sich seine silbergrünen Augen nur auf mich.
    Ich begann zu weinen.
    Mein Vater breitete die Arme aus, und ich warf mich ihm wortlos an die Brust.

    »Xie«, sagte er, als erinnerte er sich an etwas Grundlegendes, das er für immer vergessen glaubte. »Xie, Xie, Xie.«

    Wenn man von der Halbinsel Tschukotka, die in die Beringsee ragt, nach Osten über die Beringstraße blickt, hat man das Gefühl, dass es von dort nur ein Katzensprung nach Amerika sein kann.
    Unser Trawler war unterwegs zu einem Treffen mit Meeresbiologen aus Tschukotka, die den Rückgang der Kormoranpopulation an den Küsten der Halbinsel untersuchten. Wir fünf waren nur Passagiere. Tatjana würde mit den Leuten aus Kamtschatka zurückfahren und sich wieder den Tschuktschen-Schamanen anschließen, sobald sich ein passender Ort fand, wo man uns mit unserem Flugzeug von Bord lassen konnte und wo wir starten konnten, ohne zu viel Aufmerksamkeit zu erregen.

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