Die Bourne-Identität
eine Gestalt. Doch da war niemand.
Plötzlich öffnete sich die zwanzig Fuß entfernte Tür.
Bourne duckte sich, fuhr mit der Hand unter die Jacke, griff nach der Waffe, verfluchte sich selbst als Narr; jemand, der aufmerksamer als er war, hatte ihn entdeckt. Aber die Worte, die er hörte, beruhigten ihn. Zwei Leute in mittleren Jahren - eine Hausangestellte in Uniform und ein Mann mit einer dunklen Jacke - unterhielten sich an der Türe.
»Achte darauf, daß die Aschenbecher leer sind«, sagte die Frau. »Du weißt, wie er überfüllte Aschenbecher haßt.«
»Er ist heute nachmittag gefahren«, antwortete der Mann. »Das bedeutet, daß sie jetzt voll sind.«
»Mach sie in der Garage sauber; du hast noch Zeit. Er kommt frühestens in zehn Minuten. Um halb neun muß er in Nanterre sein.«
Der Mann nickte und klappte die Revers seiner Jacke hoch, ehe er die Treppe hinunterging.
Die Türe schloß sich, und auf der Straße herrschte wieder Schweigen. Jason erhob sich und sah dem Mann nach, wie er den Bürgersteig hinuntereilte. Er wußte nicht genau, wo Nanterre lag, nur daß es ein Vorort von Paris war. Wenn Villiers selbst dort hinfuhr und er alleine war, war es am besten, sofort mit ihm zu sprechen.
Bourne nahm die Tasche von der Schulter und ging schnell die Treppe hinunter, bog unten auf dem Bürgersteig nach links. Zehn Minuten blieben ihm noch.
Jason sah durch die Windschutzscheibe, wie die Tür sich öffnete und General André François Villiers auftauchte. Er war ein Mann von mittlerer Größe, breitschultrig, Ende Sechzig, vielleicht auch Anfang Siebzig. Er trug keinen Hut, so daß man sein kurz gestutztes graues Haar und den makellos gepflegten weißen Kinnbart sehen konnte. Seine Haltung war unverkennbar soldatisch.
Bourne starrte ihn fasziniert an und fragte sich, was einen solchen Mann dazu bewegte, mit einem Verbrecher wie Carlos zusammenzuarbeiten.
Villiers drehte sich um, sagte etwas zu der Hausangestellten und sah auf die Armbanduhr. Die Frau nickte und schloß die Tür, als der General mit federnden Schritten die Stufen hinunter und um die Motorhaube einer großen Limousine herum zur Fahrerseite ging. Er öffnete die Tür und stieg ein, ließ dann den Motor an und rollte langsam in die Straßenmitte.
Jason wartete, bis die Limousine die nächste Kreuzung erreicht hatte und nach rechts gebogen war; dann startete er seinen Renault und erreichte die Kreuzung gerade noch rechtzeitig, um Villiers an der nächsten Kreuzung erneut nach rechts biegen zu sehen.
In dem Zusammentreffen der Umstände lag eine gewisse Ironie, ein Omen, wenn man an solche Dinge glauben konnte. Der Weg, den General Villiers zu dem Vorort Nanterre einschlug, ging ein kleines Stück auf einer Landstraße lang, die Saint-Germain-en-Laye ähnelte, wo Marie vor zwölf Stunden Jason angefleht hatte, nicht aufzugeben. Es gab hier Streifen von Weideland, Felder, die unvermittelt in die sanft ansteigenden Hügel übergingen, aber anstatt vom Licht der frühen Morgensonne gekrönt zu sein, waren diese von den kalten, weißen Strahlen des Mondes eingehüllc. Bourne kam es in den Sinn, daß dieses isolierte Straßenstück sich ebensogut wie jedes andere dazu eignen würde, den General bei seiner Rückkehr aufzuhalten.
Es fiel Jason nicht schwer, sich in einer Viertelmeile Distanz zu halten, und deshalb überraschte ihn die Feststellung, als er den alten Soldaten plötzlich eingeholt hatte. Villiers hatte seine Fahrt verlangsamt und bog jetzt in einen kiesbedeckten Weg ein, der in den Wald führte. Dahinter lag ein Parkplatz, der von Tiefstrahlern beleuchtet war. Auf einem Schild, das an zwei Ketten von einem Pfosten hing und erleuchtet wurde, stand: L'ARBALETE. Der General traf sich in diesem abgelegenen Restaurant mit jemandem zum Abendessen, nicht in dem Vorort Nanterre, sondern außerhalb. Auf dem Lande.
Bourne fuhr an der Einfahrt vorbei und parkte am Straßenrand, wo die rechte Wagenseite vom Gebüsch verdeckt wurde. Er mußte sich zusammenreißen. Ein ungeheuerlicher Gedanke kam ihm plötzlich.
Angesichts der aufwühlenden Ereignisse - der Ungeheuerlichkeit der Niederlage, die Carlos letzte Nacht in dem Motel in Montrouge erlitten hatte - war es mehr als wahrscheinlich, daß man André Villiers in ein abgelegenes Restaurant bestellt hatte, weil eine dringende Besprechung erforderlich war. Vielleicht sogar mit Carlos selbst. Wenn das der Fall war, würde das Anwesen bewacht sein, und der Mann, dessen Foto jene Wachtposten so
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