Die Bourne-Identität
daß sie alles tun würde.«
»Kommt es dir nicht seltsam vor, daß man ihr eine solche Nummer gibt?«
»Eigentlich nicht, Carlos will, daß seine Drohnen wissen, daß er es ernst meint. Er will Cain.«
Marie stand auf. »Jason? Was ist eine >Drohne«
Bourne blickte zu ihr auf. »Ich weiß nicht ... Jemand, der blind für jemand anderen arbeitet.«
»Blind? Ohne zu sehen?«
»Ohne zu wissen. Jemand, der glaubt, eine Sache zu tun und in Wirklichkeit etwas anderes tut.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich gebe dir den Auftrag, an einer bestimmten Straßenecke nach einem Wagen Ausschau zu halten. Der Wagen erscheint dort nie. Aber die Tatsache, daß du dort bist, bedeutet für jemanden, der dich beobachtet, daß etwas anderes geschehen wird.«
»Im arithmetischen Sinne also eine Nachricht, die man nicht auf ihren Ursprung zurückverfolgen kann.«
»Ja, so könnte man es nennen.«
»So wie in Zürich. Walther Apfel war eine Drohne. Er hat diese Geschichte über den Bankeinbruch weitergegeben, ohne zu wissen, was er in Wirklichkeit damit sagte.«
»Und was hat er gesagt?«
»Nun, ich vermute, man wollte dir sagen, du solltest mit jemandem Verbindung aufnehmen, den du sehr gut kennst.«
»Treadstone Seventy-One«, sagte Jason. »Womit wir wieder bei Villiers angelangt wären. Carlos hat mich über die Gemeinschaftsbank in Zürich gefunden. Das bedeutet, daß er über Treadstone informiert sein mußte; wahrscheinlich trifft das auch für Villiers zu. Wenn nicht, können wir ihn vielleicht dazu bewegen, es für uns in Erfahrung zu bringen.«
»Wie?«
»Sein Name. Wenn er so ist, wie du sagst, läßt er seinen Namen nicht in den Schmutz ziehen. Die Ehre Frankreichs in Verbindung zu bringen mit einem Schwein wie Carlos könnte seine Wirkung haben. Ich werde drohen, zur Polizei zu gehen, die Presse zu informieren.«
»Er würde es einfach leugnen. Er würde sagen, das sei unerhört.«
»Macht nichts. Kommt es wirklich zu einem Dementi, dann steht das auf derselben Seite wie sein Nachruf.«
»Zuerst mußt du mit ihm Kontakt aufnehmen.«
»Das werde ich. Du weißt ja, ich bin ein halbes Chamäleon.«
Die von Bäumen gesäumte Straße im Parc Monceau kam ihm irgendwie vertraut vor, aber er wußte nicht, warum. Es war vielmehr die Atmosphäre. Zwei Reihen gepflegter Steinhäuser, deren Türen und Fenster glänzten, deren polierte Eisenbeschläge blitzten, Häuser mit sauber geschrubbten Treppen und beleuchteten Zimmern, Hängepflanzen vor den Fenstern. Eine wohlhabende Straße in einem wohlhabenden Stadtteil, und er wußte, daß er schon einmal eine Straße wie diese erlebt hatte, und daß das von ausschlaggebender Bedeutung gewesen war.
19.35 Uhr, eine kalte Märznacht unter klarem Himmel, und das Chamäleon war dem Anlaß entsprechend gekleidet. Bournes blondes Haar war von einer Kappe bedeckt, sein Hals vom Kragen einer Jacke geschützt, auf deren Rücken in großen Lettern der Name eines Botendienstes stand. Über seiner Schulter hing ein Segeltuchstreifen, an dem eine fast leere Tasche befestigt war; dieser Bote war ziemlich am Ende seiner Tour angelangt. Noch drei oder vier Stationen lagen vor ihm; gleich würde er es wissen. Bei den Umschlägen in seiner Tasche handelte es sich in Wirklichkeit gar nicht um Umschläge, sondern um Prospekte, die Seine-Rundfahrten mit den Bateaux Mouche anpriesen, Prospekte, die er sich in einer Hotelhalle geholt hatte. Er würde sich willkürlich ein paar Häuser in der Nähe der Wohnung des Generals Villiers aussuchen und die Broschüren in die Briefkastenschlitze stecken. Seine Augen würden alles in Sekundenschnelle registrieren. Was für Sicherheitsvorkehrungen hatte Villiers getroffen? Wer bewachte den General, und wie viele waren es?
Und weil er davon überzeugt gewesen war, entweder Männer in Wagen oder andere Männer zu Fuß vorzufinden, überraschte ihn die Erkenntnis, daß da niemand war. André François Villiers, Verbindungsoffizier zu Carlos, hatte keinerlei äußerlich sichtbare Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Wenn er geschützt wurde, so beschränkte sich jener Schutz einzig und allein auf das Haus. In Anbetracht der Schwere seines Verbrechens war Villiers entweder so arrogant, daß das schon fast an Gleichgültigkeit grenzte, oder ein Narr.
Jason stieg die Treppe des Nachbarhauses hinauf; Villiers Türe war höchstens zwanzig Fuß entfernt. Er schob den Prospekt in den Schlitz und blickte zu den Fenstern von Villiers Haus auf, suchte ein Gesicht,
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