Die Bourne-Identität
nicht in Ordnung. Das ist mir schon früher aufgefallen; das wissen wir beide, mein Liebster. Und dann mußt du aufhören, das wissen wir auch. Komm zum Hotel zurück. Bitte.«
Bourne schloß die Augen, der Schweiß begann zu trocknen, die Geräusche des Verkehrs außerhalb der Telefonzelle verdrängten das Kreischen in seinen Ohren. Er konnte die Sterne am kalten Nachthimmel sehen. Kein blendendes Sonnenlicht mehr, keine unerträgliche Hitze. Es war vorübergegangen.
»Ich bin wieder in Ordnung. Wirklich, alles okay.«
»Jason?« Marie sprach ganz langsam, zwang ihn, ihr zuzuhören. »Was war los?«
»Ich weiß nicht.«
»Du hast gerade diese Brielle gesehen. Hat sie etwas zu dir gesagt? Etwas, das Erinnerungen in dir weckte?«
»Ich weiß nicht.«
»Denk nach, Liebster!«
Bourne schloß die Augen, versuchte sich zu erinnern. War da etwas gewesen? Etwas, das beiläufig ausgesprochen worden war, oder so schnell, daß es ihm im Augenblick gar nicht aufgefallen war. »Sie hat mich einen Provokateur genannt«, sagte Jason und begriff nicht, warum das Wort zu ihm zurückkam. »Aber das bin ich ja schließlich, nicht wahr? Das ist es doch, was ich tue.«
»Ja«, gab Marie ihm recht.
»Ich muß weiter«, fuhr Bourne fort. »Trignons Wohnung ist nur ein paar Häuserblocks von hier entfernt. Ich will vor zehn Uhr bei ihm sein.«
»Sei vorsichtig!« Marie sprach, als wären ihre Gedanken anderswo.
»Das bin ich. Ich liebe dich.«
»Ich glaube an dich«, sagte Marie St. Jacques.
Die Straße war still, der Block eine seltsame Mischung aus Geschäften und Wohnungen, typisch für das Zentrum von Paris; am Tag voller aufgeregter Geschäftigkeit, nachts verlassen.
Jason erreichte das kleine Appartementhaus, wo sich Pierre Trignons Wohnung befand. Er stieg die Treppe hinauf und betrat das saubere, schwach beleuchtete Foyer. Zur Rechten gab es eine Reihe von Bronzebriefkästen, jeder über einem kleinen, mit Speichen versehenen Kreis, der Sprechanlage. Jason fuhr mit dem Finger über die gedruckten Namen unter den Schlitzen: M. PIERRE TRIGNON - 42. Er drückte den kleinen schwarzen Knopf zweimal; zehn Sekunden später war ein knatterndes Geräusch zu hören, das die Stimme halb übertönte.
»Ja?«
»Monsieur Trignon?«
»Jawohl.«
»Telegramm, Monsieur. Ich bin in Eile und kann mein Fahrrad nicht im Stich lassen.«
»Ein Telegramm, für mich?«
Pierre Trignon war kein Mann, der häufig Telegramme erhielt; das war an seiner überraschten Stimme zu merken. Der Rest seiner Worte war kaum zu verstehen, aber eine Frauenstimme im Hintergrund wirkte geradezu verstört, vermutete schon allerlei mögliche Katastrophen.
Bourne wartete vor der Milchglastüre, die ins Innere des Appartementhauses führte. Binnen Sekunden hörte er das schnelle Klappern von Schritten immer lauter werden, als jemand - offensichtlich Trignon - die Treppe heruntergeeilt kam. Die Tür flog auf, verbarg Jason; ein kräftig gebauter Mann, dem schon die meisten Haare ausgegangen waren, mit Hosenträgern, die das Fleisch unter dem vorquellenden weißen Hemd einzwängten, ging auf die Briefkästen zu und blieb bei Nummer 42 stehen.
»Monsieur Trignon?«
Der kräftig gebaute Mann fuhr herum, sein joviales Gesicht wirkte völlig hilflos. »Haben Sie mir ein Telegramm gebracht?« rief er.
»Ich bitte um Entschuldigung für die kleine Lüge, Trignon, aber ich habe das Ihretwegen getan. Ich dachte, Sie würden nicht gerne vor Ihrer Frau und Ihrer Familie verhört werden.«
» Verhört?« rief der Buchhalter aus, und seine dicken, vorstehenden Lippen kräuselten sich verwundert, seine Augen blickten verängstigt. »Mich? Wozu? Was soll das? Warum sind Sie hier in meinem Haus? Ich bin ein anständiger Bürger und habe nur nie etwas zuschulden kommen lassen!«
»Sie arbeiten in der Rue Saint-Honore? Für eine Firma, die sich Les Classiques nennt?«
»Ja. Wer sind Sie?«
»Wenn Sie es vorziehen, können wir in mein Büro gehen«, sagte Bourne.
»Wer sind Sie?«
»Ich führe eine Sonderuntersuchung für die Steuerbehörde durch, Abteilung für Betrugsfälle. Kommen Sie mit - mein Dienstwagen steht draußen.«
»Draußen? Mitkommen? Ich habe keine Jacke, keinen Mantel! Meine Frau. Sie ist oben und wartet auf mich, wartet, daß ich ein Telegramm bringe. Ein Telegramm!«
»Sie können ihr ja eines schicken, wenn Sie wollen. Kommen Sie jetzt mit. Ich war den ganzen Tag mit dieser Geschichte beschäftigt und möchte das jetzt abschließen.«
»Bitte,
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