Die Bourne-Identität
Marie scharf. Sie mußte dem alten Soldaten weh tun. »Sie sind schließlich Offizier. Reden Sie nicht so ein wirres Zeug!«
»Die Lehrerin weist den Schüler zurecht. Sie haben ja recht.«
»Es stimmt, Sie sind ein großer Mann.« Jetzt herrschte Schweigen in der Leitung; Marie hielt den Atem an. Als Villiers' Stimme wieder zu hören war, atmete sie auf.
»Unser gemeinsamer Freund muß ein sehr glücklicher Mann sein. Sie sind eine bemerkenswerte Frau.«
»Ganz und gar nicht. Ich möchte nur, daß mein Freund zu mir zurückkommt. Daran ist nichts Bemerkenswertes.«
»Vielleicht nicht. Aber ich würde auch gerne Ihr Freund sein. Sie haben einem sehr alten Mann bewußt gemacht, wer und was er einmal war und wieder zu sein versuchen muß. Ich danke Ihnen zum zweitenmal.«
»Keine Ursache ... mein Freund.« Marie legte auf. Sie war tief bewegt und in gleichem Maße beunruhigt. Sie war nicht überzeugt, daß Villiers den nächsten vierundzwanzig Stunden gewachsen sein würde. Und dann würde der Meuchelmörder wissen, daß er in der Falle saß, und befehlen, im Les Classiques zu räumen und zu verschwinden. Oder es würde zu einem Blutbad in Saint-Honore kommen.
Wenn das passierte, war es aus. Dann gab es keine Adresse in New York mehr, keine Botschaft mehr zu entziffern, keinen Sender zu finden. Der Mann, den sie liebte, wurde in das Dunkel, aus dem er kam, zurückgestoßen werden. Und er würde sie verlassen.
28.
Bourne sah sie an der Ecke, sie ging im Schein der Straßenlaterne auf das kleine Hotel zu, in dem sie wohnte. Monique Brielle, Jacqueline Laviers rechte Hand, war eine härtere, sehnigere Ausgabe von Janine Dolbert; er erinnerte sich daran, sie im Laden gesehen zu haben. Ihr Schritt war der einer selbstbewußten Frau, die wußte, was sie wollte. Jason konnte gut verstehen, daß sie die rechte Hand der Lavier war. Ihre Begegnung würde kurz sein, seine Botschaft würde sie erschrecken und ihr bedrohlich vorkommen. Er blieb reglos stehen und ließ sie an sich vorbeigehen. Ihre Absätze klapperten auf dem Pflaster. Auf der Straße befanden sich vielleicht ein halbes Dutzend Leute. Man mußte sie von hier wegbringen. Höchstens dreißig Fuß vor dem Eingang des kleinen Hotels holte er sie ein; er verlangsamte seinen Schritt auf ihr Tempo und hielt sich an ihrer Seite.
»Sie müssen sofort mit der Lavier Verbindung aufnehmen«, sagte er in französischer Sprache und blickte starr nach vorne.
»Pardon? Was haben Sie gesagt? Wer sind Sie, Monsieur?«
»Bleiben Sie nicht stehen! Gehen Sie weiter. Am Eingang vorbei.«
»Sie wissen, wo ich wohne?«
»Es gibt sehr wenig, das wir nicht wissen.«
»Und wenn ich hineingehe? Es gibt einen Portier -«
»Es gibt auch die Lavier«, unterbrach Bourne. »Sie werden Ihre Stellung verlieren und auf der ganzen Rue Saint-Honore keine mehr finden. Und ich fürchte sogar, daß das das geringste Ihrer Probleme sein wird.«
»Wer sind Sie?«
»Nicht Ihr Feind.« Jason sah sie an. »Machen Sie mich nicht dazu.«
»>Sie. Der Amerikaner! Janine ... Claude Oreale!«
»Carlos«, ergänzte Bourne.
»Carlos? Was soll dieser Wahnsinn? Den ganzen Nachmittag nichts als Carlos! Und Nummern! Jeder hat eine Nummer, von der noch nie jemand gehört hat! Und all das Gerede von Fallen und von Männern mit Waffen! Verrückt ist das!«
»Ist aber Realität. Gehen Sie weiter. Bitte. Um Ihrer selbst willen.«
Sie gehorchte, aber ihr Schritt war jetzt weniger sicher, ihr Körper steif, eine starre Marionette, die ihrer Fäden unsicher war. »Jacqueline hat mit uns gesprochen«, sagte sie mit eindringlicher Stimme. »Sie hat uns gesagt, es sei alles Wahnsinn, daß - Sie - sich vorgenommen hätten, Les Classiques zu ruinieren. Daß eines der anderen Häuser Sie dafür bezahlt haben muß, um uns zu ruinieren.«
»Was haben Sie denn erwartet, daß sie sagt?«
»Sie sind ein bezahlter Provokateur. Sie hat uns die Wahrheit gesagt.«
»Hat Sie Ihnen auch gesagt, daß Sie den Mund halten sollen? Daß Sie zu niemandem etwas davon sagen dürfen?«
»Natürlich.«
»Und ganz besonders«, fuhr Jason fort, als hätte er sie nicht gehört, »dürfen Sie keine Verbindung mit der Polizei aufnehmen, was unter den gegebenen Umständen ja eigentlich das logischste wäre. In mancher Hinsicht sogar das einzig mögliche.«
»Ja, natürlich ...«
»Nicht natürlich«, widersprach Bourne. »Hören Sie, ich bin nur ein Verbindungsmann, ich stehe wahrscheinlich nicht viel höher in der Hierarchie als Sie
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