Die Bourne-Identität
an einem Bettler vorbei, der in einem Abfallkorb - der Bettler! Die Hand des Bettlers tauchte in seine Tasche; Jason wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um den Lauf einer Automatic unter dem abgewetzten Mantel hervorlugen zu sehen, die Sonnenstrahlen spiegelten sich in dem Metall. Der Bettler hatte eine Pistole! Seine hagere Hand hob sie, hielt die Waffe ganz gerade, sah ihn voll an. Jason warf sich auf die Straße, prallte von einem kleinen Wagen ab. Er hörte die Kugeleinschläge rings um ihn, jenes endgültige Geräusch. Schreie, schrill und schmerzerfüllt, kamen von unsichtbaren Leuten auf dem Bürgersteig. Bourne duckte sich zwischen zwei Wagen und rannte durch den Verkehr auf die andere Straßenseite. Der Bettler rannte weg; ein alter Mann mit Augen aus Stahl rannte in die Menge hinein, ins Vergessen.
Carlos. Carlos in die Falle locken. Cain ist ...!
Wieder wirbelte Jason herum und taumelte erneut, warf sich nach vorne, schob alles weg, das sich ihm in den Weg stellte, um den Killer zu verfolgen. Er blieb atemlos stehen, verwirrt und irgendwie wütend. Plötzlich verspürte er einen bohrenden Schmerz an den Schläfen. Wo war er? Wo war Carlos! Und dann sah er ihn; der Killer hatte sich hinter das Steuer einer mächtigen schwarzen Limousine gesetzt. Bourne rannte wieder auf die Straße zurück, rempelte Fußgänger an, lädierte Kotflügel und Motorhauben. Plötzlich versperrten ihm zwei Wagen den Weg, die miteinander kollidiert waren. Seitwärts sprang er über die ineinander verkeilten Stoßstangen. Doch dann blieb er wieder stehen, und seine Augen füllten sich mit Tränen über das, was er sah; gleichzeitig wußte er, daß es sinnlos war, weiterzugehen. Er war zu spät gekommen. Die große schwarze Limousine hatte eine Lücke im Verkehr entdeckt, und Iljitsch Ramirez Sanchez jagte davon.
Die Lavier! Bourne fing wieder zu rennen an, auf die Kirche des Geheiligten Sakraments zu. Er erreichte den Plattenweg unter den Augen des Betonheiligen und bog nach links, rannte auf die mächtigen, mit Skulpturen versehenen Flügel und die marmorne Treppe zu. Er jagte hinauf, rannte in die gotische Kirche, sah sich ganzen Regalen mit flackernden Kerzen gegenüber, während sich aus den Mosaikglasfenstern hoch ober in den finsteren Steinmauern ineinander verschmolzene Strahlen farbigen Lichts ergossen. Er ging den Mittelgang hinunter und starrte die Gläubigen an, hielt Ausschau nach einem Kopf mit dunklem Haar, das von silbernen Strähnen durchzogen war, und unter dem ein totenbleiches Gesicht zur Maske erstarrt schien.
Die Lavier war nirgends zu sehen, und doch hatte sie die Kirche noch nicht verlassen, mußte also noch hier irgendwo sein. Jason drehte sich um und blickte den Gang hinauf; da sah er einen hochgewachsenen Priester, der ganz beiläufig an den Kerzen vorbeiging. Bourne überholte ihn und stellte sich ihm in den Weg.
»Entschuldigen Sie bitte, Hochwürden«, sagte er. »Ich fürchte, ich habe jemanden verloren.«
»Niemand ist im Hause Gottes verloren, mein Herr«, erwiderte der Geistliche und lächelte.
»Vielleicht ist sie nicht im Geiste verloren, aber wenn ich nicht wenigstens den Rest finde, wird sie sehr ungehalten sein. In ihrem Geschäft hat es einige Probleme gegeben. Sind Sie schon lange hier, Hochwürden?«
»Ich begrüße jene Angehörige unserer Erde, die Hilfe suchen. Ja. Ich bin seit fast einer Stunde hier.«
»Vor ein paar Minuten kamen zwei Frauen herein. Die eine war außergewöhnlich groß und sehr attraktiv, sie trug eine helle Jacke und, wie ich meine, ein dunkles Tuch über dem Haar. Die andere war älter, nicht so hochgewachsen, und offensichtlich nicht ganz gesund. Haben Sie sie zufällig gesehen?«
Der Priester nickte. »Ja. Das Gesicht der älteren Frau wirkte verhärmt, sie war bleich, litt offensichtlich.«
»Wissen Sie, wo sie hingegangen ist? Ich glaube, ihre jüngere Freundin ist weggegangen.«
»Eine sehr ergebene Freundin, darf ich sagen. Sie hat die arme Dame zum Beichtstuhl geführt und ihr geholfen, in dem Beichtstuhl Platz zu nehmen. Die Reinigung der Seele gibt uns allen in schweren Zeiten Kraft.«
»Zur Beichte?«
»Ja - der zweite Beichtstuhl von rechts. Ich darf vielleicht hinzufügen, daß sie einen Beichtvater mit sehr viel Mitgefühl hat. Ein Priester, der aus der Erzdiözese Barcelona zu Besuch ist. Ein bemerkenswerter Mann übrigens; leider ist das sein letzter Tag. Er kehrt nach Spanien zurück ...« Der hochgewachsene Priester runzelte die
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