Die Bourne-Identität
nicht erreichen können, soll jemand anders die Fäden ziehen. In einer Woche kann man sie entfernen, denke ich.«
»Vielen Dank, Doktor.«
»Ich danke Ihnen. Sie sind sehr großzugig gewesen. Ich gehe jetzt. Vielleicht höre ich von Ihnen, vielleicht auch nicht.«
Als der Arzt die Tür hinter sich geschlossen hatte, schob die Frau einen Riegel vor. Sie drehte sich um und sah, daß Bourne sie musterte. Langsam trat sie an sein Bett.
»Können Sie mich hören?« fragte sie.
Er nickte.
»Sie sind verletzt, ziemlich schlimm sogar. Aber wenn Sie sich ruhig verhalten, brauchen Sie nicht in ein Krankenhaus zu gehen. Der Mann, der gerade gegangen ist, war der Arzt. Ich habe ihn mit dem Geld bezahlt, das ich bei Ihnen gefunden habe; wesentlich mehr als vielleicht üblich ist, aber man hat mir gesagt, daß man ihm vertrauen kann. Das war übrigens Ihre Idee. Während wir hierher fuhren, redeten Sie immer wieder davon, daß Sie einen Arzt finden müßten, einen, dessen Stillschweigen man sich erkaufen könne. Sie hatten recht, es war nicht schwer.«
»Wo sind wir?« fragte er mit matter Stimme.
»In einem Dorf namens Lenzburg, etwa dreißig Kilometer von Zürich entfernt. Der Arzt ist aus Wohlen, das ist eine Stadt in der Nähe. Er wird in einer Woche wiederkommen, wenn Sie dann noch da sind.«
»Wie?« Er versuchte, sich aufzurichten, aber seine Kräfte reichten dazu nicht aus.
»Ich will Ihnen sagen, was geschehen ist; das beantwortet vielleicht Ihre Fragen.« Sie stand reglos da und blickte auf ihn hinunter. Ihre Stimme war kontrolliert, als sie fortfuhr. »Eine Bestie hat mich vergewaltigt. Sie hatte Anweisung, mich zu töten. Ich durfte nicht am Leben bleiben. In der Brauerstraße hatten Sie versucht, die Kerle aufzuhalten, und als Ihnen das nicht gelang, riefen Sie mir zu, ich solle schreien, immer wieder schreien. Damit haben Sie riskiert, in diesem Augenblick selbst getötet zu werden. Später kamen Sie irgendwie frei; ich weiß nicht, wie, aber ich weiß, daß Sie dabei sehr schwer verletzt wurden - und dann haben Sie mich gesucht.«
»Ihn«, unterbrach sie Jason, »ihn wollte ich.«
»Das haben Sie mir bereits gesagt, aber ich glaube Ihnen nicht. Nicht etwa, weil Sie ein schlechter Lügner sind, sondern weil die Tatsachen dagegen sprechen. Zum Beispiel könnte Sie auch der Besitzer des >Drei Alpenhäuser< identifizieren. Dies sind die Fakten. Nein, Sie sind gekommen, um mich zu finden, und haben mir das Leben gerettet.«
»Weiter«, sagte er, und seine Stimme begann langsam kräftiger zu werden. »Was geschah dann?«
»Ich traf eine Entscheidung, die schwierigste, die ich in meinem ganzen Leben zu fällen hatte. Ich glaube, zu solch einer Entscheidung ist man nur fähig, wenn man beinahe gewaltsam sein Leben verloren hat und jemand anderer dieses Leben gerettet hat. Ich entschied mich, Ihnen zu helfen.«
»Warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen?«
»Das hätte ich beinahe getan, und ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen erklären kann, warum ich es nicht tat. Vielleicht weil man mich vergewaltigt hatte, ich weiß es nicht. Ich bin ehrlich zu Ihnen. Man hat mir immer gesagt, es sei das Schrecklichste, was einer Frau zustoßen kann. Jetzt glaube ich es. Und ich habe die Wut, den Ekel in Ihrer Stimme gehört, als Sie ihn anschrien. Ich werde diesen Augenblick nie mehr vergessen, solange ich lebe.«
»Die Polizei?« wiederholte er.
»Dieser Mann im >Drei Alpenhäuser< hat gesagt, daß die Polizei Sie sucht.« Sie hielt inne. »Ich konnte Sie nicht an die Polizei ausliefern. Nicht nach dem, was Sie für mich getan haben.«
»Obwohl Sie wissen, was ich bin?« fragte er.
»Ich weiß nur, was ich gehört habe, und das paßt nicht zu dem verletzten Mann, der meinetwegen zurückkam und sein Leben aufs Spiel setzte, um mich zu retten.«
»Das ist nicht sehr klug.«
»Das ist das einzige, was ich bin, Mr. Bourne. Ich nehme an, Bourne ist richtig. So hat er Sie genannt. Sehr klug.«
»Ich habe Sie geschlagen. Ich habe gedroht, Sie zu töten.«
»Wenn ich Sie gewesen wäre und man versucht hätte, mich zu töten, hätte ich wahrscheinlich genauso gehandelt - wenn ich dazu imstande gewesen wäre.«
»Also sind Sie aus Zürich herausgefahren?«
»Nicht gleich. Erst mußte ich ruhig werden, mir die nächsten Schritte überlegen. Ich bin sehr methodisch.«
»Langsam merke ich das.«
»Ich war ein Wrack, völlig durcheinander. Ich brauchte neue Kleider, eine Haarbürste, Make-up. Aus einer Telefonzelle am
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