Die Bourne-Identität
und Angst haben, daß sie existieren könnten.«
»Sie waren doch da«, erwiderte er. »Ich habe sie gesehen. Wie erklären Sie sich sonst die Ereignisse in der Brauerstraße oder im >Drei Alpenhäuser< ?«
»Dann finden Sie heraus, warum das alles passierte. Sie können nicht sein, was Sie nicht sind, Jason. Finden Sie es heraus.«
»In Paris«, sagte er.
»Ja, in Paris.« Marie erhob sich von der Couch. Sie trug ein gelbes Nachthemd mit Perlmuttknöpfen am Hals; es floß weich an ihrem Körper herunter, als sie barfuß auf sein Bett zuging. Als sie neben ihm stand, hob sie beide Hände und begann das Nachthemd aufzuknöpfen. Sie ließ es herunterfallen und setzte sich auf das Bett. Langsam beugte sie sich zu ihm herab, tastete nach seinem Gesicht, umschloß es mit beiden Händen, hielt ihn fast zärtlich fest, und ihre Augen suchten die seinen und ließen sie nicht mehr los. »Danke für mein Leben«, flüsterte sie.
»Danke für meines«, antwortete er und empfand dasselbe Verlangen wie sie. Er fragte sich, ob auch sie hinter ihrer Leidenschaft einen Schmerz verspürte. Er erinnerte sich an keine Frau, und vielleicht bedeutete sie deshalb alles für ihn, alles und mehr, viel mehr. Sie vertrieb die Finsternis für ihn. Sie ließ den Schmerz aufhören.
Für den Rest der Nacht gab sie ihm eine Erinnerung, weil auch sie sich nach Zärtlichkeit gesehnt hatte. Diese Stunde gehörte nur ihnen. Das war alles, was er wollte - dabei brauchte er sie mehr denn je.
Er griff nach ihrer Brust und zog ihren Kopf zu sich herunter. Das Feuchte ihrer Lippen erregte ihn, wischte alle Zweifel weg.
Sie hob die Decke und kam zu ihm.
Sie lag in seinen Armen, den Kopf auf seiner Brust, immer darauf bedacht, die Wunde an seiner Schulter nicht zu berühren. Sie glitt vorsichtig zurück, stützte sich auf ihre Ellbogen. Er sah sie an; ihre Augen verschmolzen ineinander, und beide lächelten. Sie hob die linke Hand und legte den Zeigefinger auf seine Lippen.
»Ich habe dir etwas zu sagen«, sprach sie mit leiser Stimme, »und ich möchte nicht, daß du mich unterbrichst. Ich schicke das Telegramm an Peter nicht ab. Noch nicht.«
»Einen Augenblick.« Er nahm ihre Hand von seinem Gesicht.
»Sei ruhig. Ich habe gesagt: >noch nicht<. Das heißt nicht, daß ich es nie abschicken werde, aber eine Weile werde ich damit noch warten. Ich bleibe bei dir. Ich werde mit dir nach Paris reisen.«
Er zwang sich, die Worte zu sprechen. »Und wenn ich nicht will, daß du das tust?«
Sie beugte sich vor, und ihre Lippen strichen über seine Wange. »Das glaube ich nicht.«
»Ich wäre an deiner Stelle nicht so sicher.«
»Aber du bist nicht ich. Ich bin ich, und ich weiß, wie du mich festgehalten hast und versucht hast, so viele Dinge zu sagen, die du nicht sagen konntest. Ich kann nicht erklären, was geschehen ist. Oh, wahrscheinlich gibt es da irgendwo eine psychologische Theorie, was geschieht, wenn zwei einigermaßen intelligente Leute gemeinsam in die Hölle gestürzt werden und wieder herauskriechen ... gemeinsam. Vielleicht ist das wirklich alles. Aber im Augenblick ist da das Gefühl, bei dir bleiben zu müssen, und ich kann nicht davor weglaufen. Ich kann nicht vor dir weglaufen, weil du mich brauchst, weil du mir mein Leben zurückgegeben hast.«
»Was bringt dich auf den Gedanken, daß ich dich brauche?«
»Ich kann dir bei Dingen behilflich sein, die du nicht allein bewältigen kannst. Ich habe die letzten zwei Stunden über nichts anderes nachgedacht.« Sie richtete sich noch höher auf. »Irgendwie hast du mit einer Menge Geld zu tun, trotzdem glaube ich nicht, daß du Soll und Haben unterscheiden kannst. Vielleicht konntest du das früher einmal. Aber ich kann es. Und da ist noch etwas: Ich habe einen hohen Posten bei der kanadischen Regierung und habe daher Zugang zu geheimen Akten. Die internationale Finanzwelt hat sich in Kanada auf für uns unerfreuliche Weise eingenistet. Wir haben jetzt unsere eigenen Abwehrmaßnahmen ergriffen. Ich war eigentlich in Zürich, um herauszubekommen, wer sich mit wem zu gemeinsamen Aktionen verbündet, nicht um über abstrakte Theorien zu diskutieren.«
»Und die Tatsache, daß du Zugang zu wichtigen Akten hast, kann mir helfen?«
»Ja, ich glaube schon. Und der diplomatische Schutz durch unsere Botschaft ist vielleicht sogar das Wichtigste. Aber ich gebe dir mein Wort, daß ich das Telegramm beim ersten Anzeichen von Gewalt absende und verschwinde. Abgesehen von meinen eigenen Ängsten,
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