Die Bourne-Identität
wissen. Alles ist möglich. Das würde erklären, warum sie so lange nicht an die Bank herangetreten sind. Sie möchten nicht zu Mitschuldigen gemacht werden.«
»Ich stehe also - egal, was dein Freund Peter in Erfahrung bringt - immer noch am Anfang. Tatsache ist, daß man mich töten will und ich weiß nicht, weshalb. Andere könnten sie daran hindern, aber das werden sie nicht tun. Der Mann im >Drei Alpenhäuser< hat gesagt, Interpol würde nach mir fahnden. Sollte man mich fassen und vor Gericht stellen, wäre ich schuldig im Sinne der Anklage, obwohl ich nicht weiß, wessen ich schuldig bin. Daß ich mich nicht erinnern kann, taugt als Verteidigung nicht viel.«
»Ich weigere mich, mir so etwas vorzustellen, und das mußt du auch.«
»Danke.«
»Ich meine das ernst, Jason. Hör auf!«
Hör auf - wie oft sage ich mir das? Du bist meine Liebe, die einzige Frau, die ich je gekannt habe, und du glaubst an mich. Warum kann ich nicht an mich glauben?
Bourne erhob sich und trat mehrere Male mit den Beinen auf. Langsam gewann er seine alte Beweglichkeit zurück, seine Wunden waren weniger schwer, als seine Phantasie ihm eingeredet hatte. Er war für heute Abend mit dem Arzt in Wohlen verabredet, der ihm die Fäden ziehen sollte. Morgen würde einfach alles anders sein.
»Paris«, sagte Jason, »die Antwort liegt in Paris. Ich weiß nur nicht, wo ich anfangen soll. Es ist verrückt. Ich warte auf ein Bild, ein Wort, das mir sagt, wohin ich gehen soll.«
»Warum willst du nicht warten, bis ich von Peter gehört habe? Wir können morgen in Paris sein. Von dort werde ich ihn anrufen.«
»Weil es nichts ändern würde, verstehst du nicht? Gleichgültig, worauf er auch stößt, das, was ich wissen muß, wird nicht dabei sein. Ich muß wissen, warum gewisse Männer mich töten wollen, warum jemand namens Carlos ... wie war das doch ... ein Vermögen für meine Leiche bezahlen will.«
Weiter kam er nicht, das Krachen auf dem Tisch unterbrach ihn. Marie hatte die Tasse fallen lassen und starrte ihn mit bleichem Gesicht an. »Was hast du gerade gesagt?«
»Was? Ich sagte, daß ich wissen muß ...«
»Du hast gerade den Namen Carlos genannt.«
»Das stimmt.«
»In all den Stunden, die wir geredet haben, in all den Tagen, die wir jetzt zusammen sind, hast du ihn nie erwähnt.«
Bourne sah sie an, versuchte sich zu erinnern. Es stimmte; er hatte ihr alles gesagt, das ihm in den Sinn gekommen war, aber aus irgendeinem Grund hatte er Carlos nicht erwähnt, so als hätte er den Namen verdrängt.
»Ja, da hast du wahrscheinlich recht«, sagte er. »Du scheinst zu wissen, wer Carlos ist.«
»Machst du Witze?«
»Keineswegs. Also, wer ist Carlos?«
»Mein Gott - du weißt es wirklich nicht!« rief sie aus und schaute ihm prüfend in die Augen.
»Wer ist Carlos?«
»Ein Mörder! Ein Mann, der seit zwanzig Jahren von der Polizei gejagt wird. Man nimmt an, daß er an die sechzig Politiker und Militärs getötet hat. Niemand weiß genau, wie er aussieht ... Man vermutet, daß er von Paris aus agiert.«
Bourne spurte, wie ihn ein kalter Schauer durchlief.
Der Schwiegersohn des Concierge hatte sie nach Wohlen gefahren. Auf der Rückfahrt saßen Jason und Marie hinten im Auto. Die dunkle Landschaft zog schnell an den Fenstern vorbei. Der Arzt hatte ihm die Fäden gezogen und an ihrer Stelle weiche Bandagen angebracht, die er mit Heftpflaster befestigt hatte. »Fahr zurück nach Kanada«, sagte Jason leise.
»Das werde ich auch, in ein paar Tagen. Erst möchte ich Paris sehen.«
»Ich will dich nicht in Paris haben. Ich rufe dich in Ottawa an. Du kannst selbst nach Treadstone suchen und mir die Information telefonisch durchgeben.«
»Ich dachte, du hättest gesagt, das änderte nichts. Du müßtest das Warum erfahren; das Wer sei bedeutungslos, solange du nicht die Hintergründe begreifst!«
»Ich brauche nur einen einzigen Mann aufzuspüren, und ich werde ihn finden.«
»Aber du weißt nicht, wo du beginnen sollst. Du wartest auf ein Bild, einen Satz, der dir den entscheidenden Hinweis gibt. Vielleicht sind sie gar nicht dort.«
»Etwas wird da sein.«
»Etwas ist da, aber du siehst es nicht. Ich schon. Deshalb brauchst du mich. Ich weiß, wie wir vorzugehen haben - du nicht.«
Bourne sah sie an. »Ich glaube, du solltest dich deutlicher ausdrücken.«
»Die Banken. Treadstones Verbindungen sind bei den Banken zu suchen, aber nicht so, wie du vielleicht denkst.«
In der Dorfkirche von Arpajon, zehn Meilen
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