Die Bourne-Identität
und schnell in den Schatten einer Markise vor einem Geschäft trat. Er drehte sich um und wartete, die Augen auf die Bank auf der anderen Straßenseite gerichtet. Eine andere Bank in der Züricher Bahnhofstraße fiel ihm ein, und er erinnerte sich an den Klang von Sirenen. Die nächsten zwanzig Minuten würden ihm sagen, ob Marie recht hatte oder nicht. Wenn ihre Vermutung richtig war, würde es in der Rue Madeleine keine Sirenen geben.
Die schlanke Frau mit dem breitkrempigen Hut, der die eine Gesichtshälfte teilweise verdeckte, legte den Hörer des öffentlichen Telefons an der rechten Seite des Bankeingangs auf die Gabel. Sie öffnete ihre Handtasche, entnahm ihr eine Puderdose, klappte sie auf und überprüfte scheinbar ihr Makeup, drehte den kleinen Spiegel zuerst nach links, dann nach rechts. Zufrieden klappte sie die Dose wieder zu, schob sie in die Handtasche und ging an den Kassenschaltern vorbei zum hinteren Ende des Erdgeschosses. An einem Tresen in der Mitte blieb sie stehen, nahm einen Kugelschreiber, der an einer Kette hing, und begann, ziellos Zahlen auf einem Überweisungsformular zu schreiben. Weniger als vier Meter von ihr entfernt war eine kleine Tür in einer niedrigen hölzernen Balustrade eingelassen, welche quer durch die ganze Schalterhalle lief. Dahinter standen die Schreibtische der Sekretärinnen. Die rückwärtige Wand hatte fünf Türen. Marie las den Namen, der in goldenen Lettern auf der mittleren Tür stand.
M.A.R. D'AMACOURT
DIRECTEUR
COMPTES A L'ÉTRANGER ET DE DEVISES
Jetzt mußte sie in Erfahrung bringen, wie Monsieur A. R. d'Amacourt aussah; er würde der Mann sein, den Jason erreichen und mit dem er reden konnte, aber nicht in der Bank.
Plötzlich rannte eine Sekretärin mit ihrem Stenoblock in d'Amacourts Büro, kam dreißig Sekunden später wieder zum Vorschein und griff sofort zum Telefon. Sie wählte drei Zahlen - ein internes Gespräch - und wiederholte leise das, was sie sich notiert hatte.
Zwei Minuten vergingen; die Türe von d'Amacourts Büro öffnete sich, und der Direktor persönlich trat heraus. Er war ein Mann in mittleren Jahren. Sein lichter werdendes schwarzes Haar hatte er so gekämmt, daß die kahlen Stellen verdeckt wurden; seine Augen waren von dicken Tränensäcken umgeben und ließen erkennen, daß er viele Stunden in der Gesellschaft guten Weines verbracht hatte. Aber dieselben Augen waren auch kalt und unruhig. Sie gehörten einem Mann, der seine Umgebung voller Mißtrauen beobachtet. In bellendem Ton stellte er seiner Sekretärin eine Frage; die drehte sich im Stuhl herum und gab sich redlich Mühe, ihre Fassung zu bewahren.
D'Amacourt ging in sein Büro zurück, ohne die Tür zu schließen.
Eine weitere Minute verstrich; nervös blickte die Sekretärin immer wieder nach rechts, wartete offensichtlich ungeduldig auf etwas.
Da leuchtete an der linken Wand ein grünes Licht über zwei Holzpaneelen auf; ein Lift war in Betrieb. Sekunden später öffnete sich die Tür, und ein älterer, elegant gekleideter Mann kam heraus, der ein schwarzes Etui trug, das nicht viel größer als seine Hand war. Marie starrte es an und empfand gleichzeitig Befriedigung und Furcht; sie hatte richtig vermutet. Das schwarze Etui war aus einer Registratur in einem bewachten Raum geholt worden.
Die Sekretärin erhob sich aus ihrem Stuhl, begrüßte den würdigen Herrn und führte ihn in d'Amacourts Büro. Gleich darauf kam sie wieder heraus und schloß die Tür hinter sich.
Marie sah auf die Uhr, die Augen auf dem Sekundenzeiger. Sie wollte noch ein einziges Beweisstück haben. Dazu mußte es ihr gelingen, durch die niedrige Tür in der Balustrade zu gelangen und einen Blick auf den Schreibtisch der Sekretärin zu werfen.
Sie ging an der Empfangssekretärin vorbei, die gerade telefonierte, lächelte ihr zu und sagte nur »d'Amacourt«.
Entschlossen beugte sie sich vor, öffnete die Tür und trat schnell ein.
»Pardon, Madame ...« Die Empfangssekretärin hielt die Hand über die Sprechmuschel und redete schnell auf französisch auf die Kundin ein. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Ich möchte zu Monsieur d'Amacourt. Ich habe mich leider verspätet. Ich gehe gleich zu seiner Sekretärin«, erwiderte sie und lief weiter.
»Bitte, Madame«, rief die Empfangsdame, »ich muß Sie melden ... «
Das Summen der elektrischen Schreibmaschinen und die gedämpften Gespräche übertönten ihre Worte. Marie trat auf die Sekretärin des Direktors zu, die ebenso verwirrt
Weitere Kostenlose Bücher