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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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oben.
    Wir sahen uns an. Fünf Minuten später waren wir in seinem Garten und schlüpften ins Haus. Wir machten nicht einmal Licht.
    Die Tür, die nach oben führte, knarrte. Lambert ging vor. Ich folgte ihm. Man konnte nichts sehen. Wir stießen mit den Füßen gegen die Stufen. Darüber mussten wir lachen.
    Wir lachten leise.
    Es war lustig, so hochzusteigen, ohne etwas zu sehen. Die Geräusche von draußen drangen durch die Wände, Knaller, so laut, als würde man sie im Hof unter dem Fenster zünden.
    Im Zimmer stieß er gegen etwas und fluchte. Er tastete sich weiter und drückte das Dachfenster auf. Von draußen fiel Licht auf sein Gesicht. Ich sagte: »Bei Théo gibt es auch so eine Dachluke.« Die Luft war feucht. Wir beugten uns vor und sahen auf der Straße direkt unter uns die Tänzer und Musiker, und in der Ferne das Meer.
    Das Licht des Leuchtturms.
    Wieder die Tänzer.
    Wir fühlten uns wohl. Weit oben. Die Versuchung war groß sich einzubilden, hier könnte man zufriedener sein oder freier als woanders. Auch stärker.
    »Wissen Sie, dieser Mann, den Nan sucht …«
    »Später …«
    »Nein, jetzt.«
    Er trat zurück. Sah mich an.
    »Jetzt? … Na gut.«

    Er setzte sich irgendwo im Raum hin. Ein Bettgestell knarrte. Ich blieb neben der Luke stehen.
    »Dieser Mann, ich weiß, wo er ist.«
    Ich erzählte ihm von meinem Gespräch mit Ursula. Von der Zuflucht , von den Briefen, die Théo aus dem Kloster erhielt. Von dem Kind, das weggegangen war, ohne dass jemand wusste weshalb.
    Ich sprach, ohne ihn zu sehen. Irgendwann nahm ich kurz den roten Schein einer Flamme wahr, als er sich eine Zigarette anzündete.
    Ich wartete darauf, dass er etwas sagte, aber er sagte nichts.
    Auch ich schwieg.
    Schließlich stand er auf und schloss das Fenster. Ich hörte das Geräusch, den kleinen Eisenhaken und das Rascheln seiner Jacke.
    Wir saßen wieder im Dunkeln. Unsere Augen hatten sich daran gewöhnt. Wir konnten die Umrisse unserer Gesichter erkennen, ein bisschen.
    Er blieb einen Moment reglos neben mir stehen, dann sagte er: »Ich glaube, dass uns diese Geschichte nichts angeht.«
    Weiter sagte er nichts.
    Er begleitete mich zur Tür.
    Inzwischen gab es keine Musik mehr. Keine Tänzer. Die Leute liefen alle in Richtung Hafen, um das Feuerwerk zu bewundern, das über dem Meer abgeschossen werden sollte. Wir blieben auf der Schwelle stehen und sahen die Leute vorbeigehen.
    »Kommen Sie nicht mit?«
    Er schüttelte den Kopf.
    Er wollte sich schlafen legen, in einem der Zimmer, in neuer Bettwäsche, die er in Cherbourg gekauft hatte.
    Als ich am Zaun war, rief er mich zurück.
    »Dieses Foto, von dem Sie gesprochen haben, das im Bistro
angepinnt war, Sie haben doch gesagt, dass Lili es für Sie raussuchen wollte.«
    »Ja.«
    »Aber sie hat es nicht getan?«
    Ich sah ihn an.
    »Nein«, antwortete ich. »Es ist in der Handtasche der Mutter.«
    »Haben Sie nicht versucht, es an sich zu nehmen?«
    »Nein. Warum hätte ich das tun sollen?«
    Er nickte, und ich ging in Richtung Hafen.
     
    Ich folgte den Leuten, die die Straße entlangliefen. Die meisten waren mit Familie, mit Kindern da. Eine kleine laute, glückliche Menge.
    Ich blieb am Bauernhof stehen, um nicht zwischen sie zu geraten. Vor der Stalltür lag ein krankes Schaf. Der Vater der Bachstelze hatte es von den anderen getrennt. Seit zwei Tagen war es mit einem Strick an einem Haken festgebunden. Die Katzen schlichen um das Schaf herum.
    Die Sau mied es, weil es nach Tod roch. Das mochte sie nicht.
    Um Mitternacht schossen sie das Feuerwerk ab. Junge Leute in ihren Booten warfen Blumen aufs Wasser. Die Wellen bewegten die Blumen. Scheinwerfer strahlten sie an. Es war eine milde Nacht.
    Ich wusste nicht, ob ich mich wohlfühlte.
    Ich fühlte mich allein.
    Eine Weile hielt ich mich am Hafen auf, dann ging ich nach Hause. Noch spät in der Nacht hörte ich das Akkordeon, die Tanzmusik auf dem Platz hatte wieder eingesetzt, und ich sagte mir, dass Lambert bestimmt nicht schlafen konnte.

L a Hague, ein paar Stunden vor dem Regen. Gewitterwetter. Meine Haut ahnt den Geruch des Schwefels. Sie spürt die Blitze kommen, Stunden, bevor sie zu sehen sind.
    Ich stand spät auf, unfähig, mich vom wohligen Bett loszureißen.
    Max war am Unterstand, bei seinem Boot. Er würde das Meer nehmen, hatte er gesagt. Es war nur noch eine Frage von Tagen.
    »Bringst du mich dann zum Leuchtturm?«, fragte ich ihn und beugte mich aus dem Fenster.
    Er schaute hoch.
    »Die Strömungen

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