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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Kinder schwerer zu verstehen seien als die anderen, sie kämen, wie sie gingen, man wisse nicht, warum und woher sie kämen. Man müsse sie einfach aufnehmen.
    Haben diese Kinder mehr Angst als die anderen? Ich hatte einen
Kloß im Hals. Ich konnte nicht mehr sprechen. Monsieur Anselme legte die Hand auf den Arm seiner Freundin.
    »Und Théo, wie verstand er sich mit dem Jungen?«
    »Gut. Sehr gut sogar. Obwohl er adoptiert war, war er doch Nans Sohn … Es gab etwas sehr Starkes, das sie verband. Wenn Théo nicht auf dem Leuchtturm war, verbrachte Michel die Tage bei ihm auf dem Gehöft. Das Haus durfte er nicht betreten, aber in die Ställe ging er.«
    Sie wandte den Kopf ab und sah nach draußen, ihre Augen ruhten einen Moment lang auf den Blumen, die in dichten Büschen vor der Glaswand wuchsen.
    »Man kann sagen, was man will, aber er hätte mit Nan Kinder haben sollen.«
    Sie wandte sich uns wieder zu.
    »Als Michel weggegangen ist, wurde alles anders. Nan interessierte sich nicht mehr für die Kinder. Sie hat sie in Familien unterbringen lassen, alle, eins nach dem anderen. Wie sich die Betten leerten, es zerriss einem das Herz … Eines Morgens, nachdem der Letzte gegangen war, hat sie die Fensterläden der Zuflucht geschlossen.«
    »Und Sie?«
    »Ich …«
    Es hatte wieder zu regnen begonnen, dicke Tropfen fielen auf das Dach der Veranda. Ursula sah auf die Uhr. Es war schon spät. Wir hatten lange geredet.
    Wir standen alle drei gleichzeitig auf.
    Ihr Auto hatte sie ganz in der Nähe geparkt. Ich begleitete sie dorthin. Als sie schon am Steuer saß, fragte ich sie, ob sie sich an den Nachnamen des Kindes erinnere.
    Sie sah mich an, sie brauchte nicht nachzudenken, sicher wusste sie, dass ich ihr diese Frage stellen würde. Sie war darauf vorbereitet.

    »Er hieß Lepage, Michel Lepage.«
    Ich blickte dem Auto hinterher. Der Regen fiel auf meinen Rücken. Ich hatte das Gefühl, alles sei gut.

I ch hatte also nicht umsonst nachgefragt. Die Briefe, die Théo erhielt, waren tatsächlich von dem Kind, das Nan aufgenommen hatte. Ein Kind, das erwachsen geworden war. Wie alt mochte er sein? Vierzig?
    Max war auch eine Zuflucht für Michel gewesen.
    Wie du meine warst. Die ganze Zeit, die ich dich gekannt habe. Geliebt.
    Ich folgte der Bewegung der Scheibenwischer. Durch die Frontscheibe sah ich aufs Meer hinaus. Ich fuhr nicht los, auch nicht, als es aufhörte zu regnen.
    Die Briefe, die ich bei Théo gesehen hatte, waren von einem Kloster abgeschickt worden. War Michel Mönch geworden? Er schrieb an Théo, und trotzdem schien Nan nicht zu wissen, wo er war.
    Ich fuhr ins Dorf.
    Die Straße war gesperrt. Überall klebten Plakate an den Türen, die für den Abend ein Fest ankündigten. Ich ließ Raphaëls Auto an der Straße vor dem Waschhaus stehen.

S eit Tagen wartete das Schaf, den Blick auf den Boden gerichtet, in einem kleinen Gatter auf den Tod. Als sie es auf den Platz führten, kam ich gerade an. Ich sah die Kinder, die sich an die Hauswand pressten. Die Hunde heulten.
    Sie töteten es. Eine Stunde später trocknete seine Haut über dem Zaun, und abends drehte Max den Spieß. Er hatte die Woche damit verbracht, die Kirchenfenster zu putzen, aber weil es dunkel war, konnte man es nicht erkennen. Man hätte die Lichter in der Kirche anzünden müssen.
    Eine kleine Gruppe von Musikern stand auf einem Podest. Die Kinder tanzten. Auch einige Paare. Die Bachstelze stand mit zwei anderen Mädchen abseits, sie zeigten sich, was sie in den Taschen hatten. Ich spazierte zwischen Leuten herum, die ich nicht kannte. Ich berührte sie fast. Sie unterhielten sich. Sie hatten eine gemeinsame Geschichte.
    Als ich zur Griffue hinuntergehen wollte, verließ Lambert gerade sein Haus. Er schlich an der Tanzfläche entlang und verschwand einen Moment hinter den Tänzern. Er lief auch an mir vorbei, berührte mich fast. Doch sein Blick ging in eine andere Richtung. Er sah mich nicht.
    Ich hätte eine Bewegung machen können, er hätte sich umgedreht. Vielleicht. Aber ich presste mich noch fester an die Wand.
Ich gehöre zu den Leuten, die man nicht sieht. Nicht hübsch genug. Sicher auch nicht hässlich genug. Irgendwas dazwischen. Schon als ich jung war, tanzten auf den Überraschungspartys immer die anderen.
    Er lief ein zweites Mal an mir vorbei.
    Ich kaufte ein Tombola-Los und eine Waffel mit Puderzucker. Das Los steckte ich in die Tasche. Und dann kam er. Von der Seite.
    »Sind Sie schon lange da?«
    Ich antwortete,

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