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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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dass ich gerade erst gekommen sei. Er berichtete mir, dass er das Glas im Rahmen erneuert und das Foto wieder auf das Grab gelegt habe.
    Er kaufte sich auch eine Waffel, weil ihm meine Appetit machte. Morgane war auf der Tanzfläche, sie tanzte mit einem Jungen. Sie trug ein schwarzes Shirt, die Schultern trotz der Kälte nackt, die Ratte kauerte in ihrem Nacken.
    Ich sah sie an.
    Lambert sah sie auch an.
    »Menschen, die einander begehren, werden immer schöner. Das macht Lust zu begehren, nur um so schön zu sein wie sie.«
    Das sagte er.
    Er aß weiter seine Waffel. Irgendwann fragte er mich, ob ich mit ihm tanzen wolle, es war fast niemand mehr auf der Tanzfläche. Ich sagte, dass ich nicht gern tanzte, und er sagte, er auch nicht, aber das sei schließlich ein Tanzfest.
    Daraufhin aß er seine Waffel auf, nahm meinen Arm und zog mich auf die Tanzfläche. Er drückte mich an sich.
    »Lili wusste es …«, flüsterte er mir ins Ohr.
    »Was wusste sie?«
    »Von ihrem Vater, dass er den Leuchtturm ausgeschaltet hat.«

    Ich spürte seine Hände auf meinem Rücken. Ich wusste nicht, wohin ich meine legen sollte.
    »Entspannen Sie sich, alle sehen uns zu.«
    Er sagte es, ohne den Blick von der Tanzfläche zu heben. Er tanzte gut, ich war sicher, dass er gelogen hatte, als er sagte, er würde nicht gern tanzen. Andere Paare gesellten sich zu uns.
    »Haben Sie sich deswegen gestritten?«, fragte ich.
    »Haben Sie uns gesehen?«
    »Von der Straße aus, ja.«
    Morgane hörte auf zu tanzen und verschwand mit dem Burschen in einer Gasse. Sie winkte mir kurz zu.
    Alle Mädchen um uns herum waren schön. Sie hatten sich Kreppblumen ins Haar gesteckt.
    »Kennen Sie die Geschichte von den beiden roten Fischen, die gemeinsam in einem Glas im Kreis schwimmen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nun, sie drehen sich und drehen sich … Und nach einer Weile hält der eine an und fragt den anderen: Was machst du eigentlich am Sonntag?«
    Darüber musste er lachen.
    Im ersten Moment fand ich es blöd, aber dann lachte ich auch. Ich war immer noch in seinen Armen. Um uns herum suchten die Jungen die Mädchen, und die Mädchen erwarteten die Jungen. Burschen von sechzehn Jahren drückten sich an fünfzehnjährige Gören, und sie schworen einander, sich ein Leben lang zu lieben. Sie schworen es mit geschlossenen Augen.
    Ich beneidete sie.
    Die Musik verstummte.
    Wir verließen die Tanzfläche. Lambert zündete sich eine Zigarette an.
    »Ich gehe nach Hause«, sagte ich.
    Er hielt mich am Arm fest.

    »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass irgendwas nicht stimmt. Als ich zum letzten Mal hier getanzt habe, war ich dreizehn, es war im Sommer.«
    »Und was stimmt daran nicht?«
    »Nein, das meine ich nicht. Aber in jenem Sommer trug meine Mutter ein weißes Kleid, und mein Vater tanzte mit ihr. Ich erinnere mich an das Kleid meiner Mutter, aber nicht an ihr Gesicht. Ich habe ihre Stimme vergessen … Manchmal träume ich nachts von ihr und sehe sie vor mir. Ich sehe sie, wie sie früher war, als würde der Tod nicht existieren.«
    Ich blieb neben ihm stehen. Er rauchte und beobachtete ein Paar, das sich küsste.
    »Da, wo ich früher gearbeitet habe, gab es eine junge Frau, die immer Ja gesagt hat, wenn man sie um einen Kuss bat. Das war gut.«
    Das sagte er. Nachdem er von seiner Mutter gesprochen hatte.
    Die Musik hörte wieder auf, alle erstarrten plötzlich auf der Tanzfläche. Jemand verlangte Ruhe, weil die Ziehung der Tombolagewinne stattfinden sollte. Der Pfarrer gewann das Schaffell. Das war der Hauptgewinn. Er stieg auf das Podest, um es sich zu holen, und sagte, er würde es vor sein Bett legen.
    Es gab noch andere Gewinne.
    Ich gewann eine handgestrickte Weste. Aber ich holte sie nicht ab. Ich behielt das zerknitterte Los in der Hand. Sie riefen die Nummer mehrmals ins Mikrofon und musterten aufmerksam die Leute in der Menge. Dann riefen sie den nächsten Gewinn aus. Die Weste blieb auf dem Podest liegen. Ich spreizte die Finger. Das Los fiel auf die Erde.
    Lambert beugte sich zu mir.
    »Nicole hieß das Mädchen, das mich geküsst hat. Nicht sonderlich hübsch der Name, finden Sie nicht? Sie selbst war auch nicht sehr hübsch, deshalb passte der Name gut zu ihr.«

    Er sagte es und stellte den Fuß auf mein Los.
    Die Musik fing wieder an zu spielen. Kinder rannten an uns vorbei. Es waren viele Leute da, zu viele plötzlich.
    Er zeigte auf sein Haus.
    »Von der Dachluke da oben sieht man das Meer.«
    Das sagte er. Von der Dachluke da

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