Die Brandungswelle
Raphaëls Pullover
gefunden und ihn angezogen. Der Pullover war ihr viel zu groß. Er ging ihr bis zu den Waden. Ihr Kopf war im Kragen versteckt. Sie kam von einem Fuß auf den anderen schwankend auf uns zu und streckte die Arme aus. Ich hörte ihren Atem durch die Maschen.
Morgane holte ein Paket Kekse aus dem Schrank und rief Raphaël zu uns. Er wollte nicht von seiner Arbeit sprechen, wollte uns nichts darüber sagen, was er gerade machte.
Er legte die Hand auf den Kopf der Bachstelze und fragte: »Was machst du denn in meinem Pullover?«
Er sagte uns, dass in zwei Tagen ein Journalist der Zeitschrift Beaux-Arts vorbeikommen würde, um sich seine Werke anzusehen.
A m Nachmittag ließen sie Max’ Boot zu Wasser. Es schwankte, als es das Wasser berührte. Wir hatten Angst.
Und dann schwamm es.
Ein Boot zu Wasser lassen, das passiert nicht jeden Tag, deshalb kamen die Leute aus dem Dorf, um zuzusehen. Nicht alle kannten wir.
Der Wirt hatte Krabben gegrillt. Lili brachte Sandwiches. Sie schenkte in Plastikgläsern Sekt aus. Sie hatte die Haarfarbe gewechselt, ein etwas zu rotes Rot, im Nacken waren noch Farbspuren.
Wir standen alle am Kai und stießen auf guten Wind für die Marie-Salope an.
Morgane machte ein Foto von Max mit den Fischern und dann noch eins von ihm auf dem Deck seines Bootes. Die neue Farbe glänzte in der Sonne.
Lambert war auch da.
Er suchte einen Mülleimer, einen Abfallsack, irgendwas, um sein Glas wegzuwerfen. Als er nichts fand, behielt er es in der Hand.
Er kam zu mir.
Wir sahen uns nicht an. Wir sahen zu dem Boot, zu Max aufs Meer. Auch die Mutter war da, sie war im Auto hergekommen.
Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie sitzen oder stehen wollte. Sie riss die Augen auf, schließlich sah sie das Meer nicht oft.
Lili schenkte Glühwein aus. Orangenstücke schwammen darin. Und Zitronenscheiben. Sie füllte unsere Gläser, meins und danach das von Lambert.
Lambert hielt sie am Arm fest.
»Da hing ein Foto bei dir an der Wand.«
Sie hob den Kopf.
»Wovon sprichst du?«
»Du hast es abgenommen. Ich würde es gern sehen.«
Lili sah ihn fast brutal an. Und dann mich.
Ich wandte den Kopf ab. Senkte die Lider.
Die Mutter stand daneben. Es sah so aus, als lächelte sie, aber es war nur das Licht.
Lambert und ich gingen mit dem Wein zu den Booten.
Max dankte allen für die Nachsichtigkeit und noch für andere Dinge.
Schließlich fanden wir einen Papierkorb und warfen unsere Gläser weg.
Ehe er fortging, sagte Lambert: »Ich glaube, ich habe jemanden für das Haus.«
Am Abend verstrich ich den Rest von meinem Hopper-Grün an der Zimmertür. Ich ließ das Fenster offen, damit der Geruch abziehen konnte.
Ich ging nach draußen. Es war niemand auf dem Weg. Nur ein Webervogel, der die Heide beobachtete.
Ich setzte mich hin, bis der Raum mich verschluckte und zu einem mineralischen Wesen machte, das die Welt ansah.
D er Journalist, der einen Artikel über Raphaël schreiben wollte, kam am nächsten Tag um zehn. Er hatte mehrere Nummern des Beaux-Arts- Magazins mitgebracht, um sie ihm zu zeigen.
Raphaël kochte Kaffee und stellte Kekse auf den Tisch. Er wollte Morgane und mich während des Gesprächs dabeihaben. Wir blätterten in den Zeitschriften. Die Ratte lag in ihrer Kiste. Der Journalist fragte Raphaël, ob es für ihn wichtig sei, an einem Ort wie La Hague zu arbeiten. Raphaël antwortete, er wisse es nicht. Er könnte sicher woanders arbeiten, aber er sei gern hier.
Er goss Kaffee ein, gab der Ratte einen Kekskrümel. Er sagte, wenn er keine Skulpturen machen würde, würde er sich schrecklich langweilen und sicher etwas anderes tun. Im Garten arbeiten oder angeln. Oder wie Morgane Kronen für die Toten basteln.
Der Journalist nickte. Er stellte andere Fragen, und Raphaël beantwortete sie. Wenn er etwas nicht wusste, sagte er, dass er es nicht wisse.
Der Journalist hakte nie nach. Er trank seinen Kaffee. Morgane und ich hatten Zeit, alle Zeitschriften durchzublättern.
Dann warf der Journalist einen Blick auf die Uhr. Er wollte das Atelier besichtigen und ein paar Fotos schießen. Raphaël
sank auf seinem Stuhl zusammen. Es war ein schwieriger Moment für ihn, der Moment, in dem er sein Werk zeigen musste.
»Wir gehen gleich«, sagte er mit dumpfer Stimme.
Er nahm sich noch Kaffee.
Schließlich stand er auf und ging in den Flur. Der Stein lag vor der Tür. Er erklärte nicht, warum er dort lag.
Er öffnete die Tür und trat zur Seite. Der Journalist
Weitere Kostenlose Bücher