Die Brandungswelle
erstarrte.
Das war immer so, wer das Atelier betrat, war sprachlos.
Mir war es auch so ergangen beim ersten Mal. Reglos, mit dem Bedürfnis zu fliehen.
Raphaël machte eine Handbewegung, die alles beinhaltete, was er sagen wollte.
Der Journalist ging zu den Skulpturen. In dem Licht, das durch die Fenster hereinkam, wirkte deren Patina noch röter. Sie flimmerte fast. Er ging nah an die Bäuche heran, wagte es aber nicht, sie zu berühren. Zerbrochene Glieder lagen in den Kisten, Köpfe mit zum Schrei aufgerissenen Mün-dern.
Raphaël ließ ihn gewähren. Er setzte sich an seinen Tisch.
Die Bronze nahm das Licht auf und absorbierte es. Es verging sehr viel Zeit. Schließlich holte der Journalist seinen Fotoapparat heraus und machte Aufnahmen von den Bronzeskulpturen Die Stille , Die Flehenden und Die sitzenden Frauen. Auch einige Skulpturen ohne Titel lichtete er ab.
Er machte ein Foto von der Signatur am Sockel, dann ging er zu Raphaël.
»Ich würde gern ein Foto von Ihren Händen machen.«
Eine Großaufnahme mit einem Stück des Gitters, an dem Raphaëls Finger spielten. Er machte auch zwei Porträtaufnahmen von ihm.
»Sie bekommen eine Doppelseite, dafür sorge ich.«
Raphaël antwortete nicht.
Bevor der Journalist das Atelier verließ, drehte er sich noch einmal um.
»Eine Doppelseite in der Beaux-Arts , das ist wirklich gut!«
Das kranke Schaf war gestorben. Als ich vorbeikam, lag es noch an seinem Platz, aber das Halsband war verschwunden. Der Kopf war auf die Seite gefallen. Sein Bauch war aufgeschnitten, und drei Katzen zerrissen die Innereien. Seine weit geöffneten Augen schienen noch auf den Hof zu starren.
Ein erster Schauer ging über dem glatten Meer nieder, dann begann es zu regnen. Die Bachstelze kam mit ihrem Hund und der ganzen Herde den Weg hoch. Es war fast dunkel auf der Straße. Nur der schwache Lichtstrahl der Laterne durchdrang den Regen.
Die Sau erwartete die Herde im Schutz der großen Kastanie auf dem Hof.
Lili hatte einmal erzählt, Männer hätten sich an den Ästen dieses Baums aufgehängt. Die Frauen würden ihn daher meiden. An windigen Tagen könne man Klagen hören, aber niemand wüsste zu sagen, ob sie vom Baum oder woandersher kamen.
Ich machte bei Théo Halt. Ich musste mehrmals klopfen, ehe er die Tür öffnete.
Er sah mich kaum an.
»Was ist mit Ihrem Bein? Haben Sie Schmerzen?«
Er winkte ab.
Ich erzählte ihm, dass ich einen Turmfalken und einen Wiesenpieper gesehen hatte. Ich zeigte ihm auch die Zeichnungen in meinem Heft, beschrieb ihm den Ort.
»An dem Ort, den Sie meinen, haben die Druiden Menhire aufgestellt. Sie haben dort auch Kinder geopfert.«
Er sagte es mit dumpfer Stimme, während er sich aufrichtete. Das weiße Kätzchen lag auf dem Bett. Es streckte sich.
»Ermüde ich Sie?«, fragte ich, weil ich merkte, dass er nicht so war wie sonst.
Er nickte.
»Ich glaube, ich bin schon sehr lange müde.«
In der nächsten Nacht träumte ich von Ketten und Türen. Ich hörte Schlüssel klirren. Das war der Wind draußen, die Taue der Boote, die knarrten.
Ich wachte schweißnass auf.
D er Umschlag kam in der folgenden Woche. Ein großer brauner Umschlag, den der Briefträger auf den Tisch legte. Raphaël rief uns.
Er war aus starkem Papier, frankiert mit drei Briefmarken, eine Hommage an Vauban. Darin die Zeitschrift, auf dem Hochglanzcover ein Foto der Fondation Maeght.
Morgane war ganz aus dem Häuschen.
»Machst du sie jetzt auf oder nicht?«
Er blätterte die Zeitschrift von hinten nach vorne durch.
Es war nichts drin.
Morgane wurde wütend.
»Warum sollte er dir die Zeitschrift schicken, wenn du nicht drin bist?«
Sie riss sie ihm aus den Händen.
»Er hat gesagt, eine Doppelseite! Eine Doppelseite muss man doch sehen!«
Sie fing auch am Ende an. Sie blätterte, aber langsamer. Die Ratte war aus ihrer Kiste gekommen und stand auf den Hinterpfoten vor ihr.
Morgane durchsuchte alles, bis zum kleinsten Artikel.
»Verdammt, will der uns auf den Arm nehmen?«
Sie wollte gerade wieder von vorne beginnen, als sie plötzlich
mit offenem Mund erstarrte, da stand es, in Großbuchstaben geschrieben: EIN BILDHAUER AN DER HÖLLENPFOR-TE. Darunter der Artikel, die Fotos, und auf der nächsten Seite ging es weiter.
Wir sahen uns an. Es war nicht eine, es waren zwei Doppelseiten. Das war unglaublich! Wir drückten uns aneinander, Schulter an Schulter, die Zeitschrift aufgeschlagen zwischen uns. Erst sahen wir uns die Fotos an, dann
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