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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Aurigny.«
    »Was macht er da?«
    Er zuckte die Schultern.
    Er ging zu der Kleinen, beugte sich vor, um zu sehen, was sie geschrieben hatte, dieses Heft mit den geheimnisvollen Strichen.
    Er sah ihr immer mit unendlichem Neid beim Schreiben zu.
    »Ich werde das Loch für das Vergraben des Körpers machen«, sagte er.
    Er sprach nicht laut. Er wollte nicht, dass die Mutter ihn hörte.

    Die Kleine malte weiter ihre Buchstaben.
    Max warf einen letzten Blick auf das Heft, dann holte er seine Geldkassette. Er setzte sich ganz allein an einen Tisch. Er konnte kaum seinen Namen schreiben, aber er konnte zählen. Mit der Zunge zwischen den Zähnen machte er seine Berechnungen, notierte sie mit einem grauen, kaum drei Zentimeter langen Bleistift. Er hielt ihn mit den Fingerspitzen.
    Lili kam zu mir.
    »Du siehst gar nicht gut aus heute …«
    Sie hatte Blut an den Händen, das Blut des Kaninchens.
    »Du solltest was unternehmen, nach Cherbourg fahren …«
    Sie ging hinter den Tresen, um das Blut abzuwaschen.
    »In Cherbourg gibt es Kinos, Lokale, in denen man tanzen kann … Ich würde sofort hinfahren und feiern, wenn ich nicht das verdammte Bistro hätte.«
    »Und Morgane, kann sie nicht mal einspringen?«
    »Morgane? Das geht für eine Stunde gut, aber dann verwandelt sie es in ein Freudenhaus!«

L ili hatte zum Mittag Schmorbraten gemacht.
    »Ein Schmorbraten braucht Zeit, fast einen ganzen Vormittag auf kleiner Flamme«, sagte sie.
    Im Saal roch es nach Karotte, Fleisch und Soße.
    Sie füllte eine Plastikdose für Théo.
    »Kannst du’s ihm bringen?«
    Sie sprach nicht von Nan. Sie sagte kein Wort dazu. Und trotzdem war Nan da, überall, in jedem Gedanken.
    Sie stellte den Beutel auf den Tisch und lehnte sich ans Fenster.
    Das Schild Zu verkaufen hing nicht mehr am Zaun. Auch darüber sprach sie nicht.
    »Ich bin nach Cherbourg gefahren, hab einen Möwenschiss abbekommen. Ich musste zurück und mir im Prisunic eine Bluse kaufen, aber die ist mir zu klein. Ich musste mich reinpressen … Dafür haben sie zehn Euro verlangt! Zehn Euro für eine Synthetikbluse. Die Verkäuferin hat mich kaum beachtet.«
    Der Briefträger betrat das Bistro. Er trug niedrige Schnürstiefel. Er hinterließ Schlammspuren auf dem Parkett. Lili schimpfte. Sie ging hinter den Tresen, machte einen Lappen nass und beseitigte die Spuren.
    Gleich danach kam Monsieur Anselme.

    »Ich habe Sie gesucht«, sagte er, als er mich sah.
    Er putzte die Füße lange auf dem Fußabtreter ab. Dann zog er einen Stuhl heran.
    »Nan ist tot …«
    Das sagte er, kaum dass er saß. Er legte seinen Schal ab.
    »Ursula hat mich angerufen, um es mir mitzuteilen. Sie hat mir auch gesagt, dass sie Sie dort gesehen hat, bei der Toten, und dass Sie irgendwie … Wie hat sie gesagt … kopflos waren, das war das Wort, das sie benutzt hat.«
    Wir sprachen über Nan.
    Lili wischte weiter den Boden. Monsieur Anselme warf ihr kurze Blicke zu, er wollte ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken, um zu bestellen.
    »Ich bin bei Ihnen vorbeigegangen … Ihrem Freund, dem Bildhauer, geht es im Moment nicht gut. Er wollte nicht, dass ich hochgehe und an Ihrer Tür klopfe. Er hatte eine Art Stein in den Weg gelegt.«
    Er drehte sich wieder nach Lili um, doch sie beachtete ihn immer noch nicht.
    »Er hat gesagt, dass die bloße Anwesenheit dieses Steins mich am Vorbeigehen hindern müsse. Er hat mich gemustert wie ein Vagabund.«
    »Vagabunden mustern nicht.«
    »Irren Sie sich nicht, manche tun es!«
    Er sah mich an.
    »Ist noch etwas passiert? Was ist los?«
    Er legte seine Hand auf meine.
    »Sie wirken … abwesend. Es kann doch nicht der Tod einer alten Frau sein, der Sie so traurig macht?«
    Ich war nicht traurig, ich fing nur an zu verstehen, dass Lamberts Bruder nicht im Meer verschwunden war.
    Wusste Théo von dem Geheimnis?

    Monsieur Anselme drehte sich um, endlich konnte er Lilis Blick auf sich ziehen.
    Er bestellte einen Weißwein, schön frisch.
    Lili warf den Wischlappen neben den Tisch. Der nasse Stoff knallte wie eine Ohrfeige. Monsieur Anselme beugte sich zu mir, sagte mit leiser Stimme, über den Tisch hinweg.
    »Täuscht der Eindruck, oder ist die Stimmung hier ziemlich gespannt?«
    Wir sprachen weiter von Nan.
    Ich vertraute ihm nicht an, was ich verstanden zu haben glaubte. Aber hatte ich es denn richtig verstanden?
     
    Monsieur Anselme wartete immer noch auf seinen Wein, als Théo die Tür aufstieß.
    Ihn hier zu sehen, löste eine ungewohnte Stille aus.

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